Behandlungsabbruch mit tödlichen Folgen

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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WernerSchell
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Behandlungsabbruch mit tödlichen Folgen

Beitrag von WernerSchell » 13.06.2010, 07:44

Behandlungsabbruch mit tödlichen Folgen

In einer Mailingliste ergab sich zum Thema u.a. folgender Schriftwechsel (anonymsiert):

Herr (A) ... schrieb:
Mein Betreuter, geb. 1935, liegt seit Oktober 2006 im Koma, dann wurde die Betreuung eingerichtet und zunächst von seiner Schester geführt. Im April 2007 erhielt ich dann den Betreuungsauftrag. Er ist nicht ansprechbar, zeigt keinerlei Reaktionen, wie beim Koma auch wohl nicht zu erwarten ist. Nun sehe ich die damals gelegte PEG-Sonde als medizinische Maßnahme, die ergriffen wurde, damit er wieder zu Bewusstsein kommt und ein "normales" Leben weiterführen kann. Heute wissen wir, dass die Maßnahme nicht gegriffen hat. Ich würde die PEG-Sonde gerne entfernen lassen, um ihm ein Sterben in Würde zu ermöglichen.
Im Falle des Vorliegens einer Patientenverfügung hat die Bundesärztekammer eine Handreichung verfasst, wie Ärzte und Betreuer damit umgehen können. Dabei wird -wie im Gesetz auch- auf den Patientenwillen verwiesen. In meinem Falle bestehen jedoch folgende Probleme:
- Es gibt keine Patientenverfügung
- Der Betreute hat zu gesunden Zeiten keine Äußerungen und vermutlich keinerlei 'Gespräche über seinen Willen bei Entscheidungsunfähigkeit gemacht (Er war extrem schwerhörig und vermutlich auch geistig eingeschränkt. Man hätte sich also mit Schreien über so ein sensibles Thema unterhalten müssen)
- Es gab schon 2007 eine Konferenz zwischen Arzt, Angehörigen, Pflegepersonal, Heimleitung und Betreuer. Dabei bestand Einigkeit darin, die Behandlung abzubrechen (Entfernen der PEG-Sonde), was jedoch am Widerstand des Heimleiters scheiterte. Dieses Hindernis gibt es nicht mehr, auch der Heimleiter
ist - obwohl nicht entscheidungsrelevant - heute einverstanden.
Ich gehe heute davon aus, dass der Betreute selbst auch den Behandlungsabbruch wünscht oder wünschen würde. Meine damalige Anfrage bzw. Bitte um Genehmigung wurde mir vom Vormundschaftsgericht MÜNDLICH beantwortet, daß es sich nicht um ein genehmigungspflichtigen Vorgang handele. Das VG könne nur tätig werden, wenn es unerlaubte und strafrechtlich zu verfolgende Handlungen gegeben habe. Wie sehen Sie den Fall?

Sehr geehrter Herr ...,

Sie haben auf der Grundlage der §§ 1901a und 1901 b BGB den mutmaßlichen Patientenwillen zu ermitteln (unter Einbezug des Arztes bzw. der Angehörigen) und darauf basierend entscheiden sie allein als Betreuer. Wenn sie mit dem Arzt übereinstimmen, ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts nach § 1904 Abs. 4 BGB nicht erforderlich. Weder Heimleiter noch Pflegekräfte haben entscheidenserhebliche Mitwirkungsrechte.
Angenommen: Sollte es trotz aller Bemühungen keinen mutmußlichen Willen zu ermitteln geben, kann m.E. im Zweifel nur "Pro Leben" entschieden werden. Bedeutsamen in diesem Zusammenhang scheint aber der Umstand, dass bereits 2007 Einigkeit bezüglich Behandlungsabbruch zwischen allen Beteiligten, die zur Meinungsbildung beizutragen haben, bestand.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell

Heute (13.06.2010) wurde wie folgt geschrieben:

Herr (B) ... :
..... ich halte es für sehr wichtig, dass man über die Folgen und Auswirkungen spricht, wie man mit Komapatienten menschenwürdig umgehen muss. Vor ca. 6 Jahren war in einer Reha, in dem auch schwerkranke- und rein äußerlich regungslose Komapatienten behandelt werden. Für mich war aufgrund viele liegende wehrlosen Menschen, die an allen möglichen Geräten angeschlossen waren, auch eigentlich hilflos da liegen, für mich wirklich so ein schrecklicher Anblick, dass man sich am liebsten wünsch, hoffentlich von dem Leid, von den Schmerzen, die man sicherlich auch als Komapatient hat, aber nicht äußerlich anmerkt, erlöst zu werden. Selber mal original einen Komapatienten im Bett liegen zu sehen oder auch das, dass ich schwerstkranke Komapatienten im Rollstuhl gefesselt saß, dieses traf mich so unbeschreiblich, dass ich sehr lange darüber nach dachte, was wäre, wenn ich auch unter diesen schlimmen Zustand befinde, also schrecklich!
Aus diesem Grunde habe ich mich für die Patientenverfügung entschieden. ... Meine Frage zu diesem Thema ist, hat eine Patientenverfügung von 2007/2008 zum 01.09.2009 Verbindlichkeit oder musste nach der Erlassung des Patientenverfügungsvorschriften eine neue Patientenverfügung erstellt werden oder kann eine vorhandene Verfügung für den 01.09.2009 angepasst werden?

Sehr geehrter Herr ...,

vorweg: Kompatienten sind Lebende und haben, wie alle pflegebedürftigen Menschen, Anspruch auf menschenwürdige Versorgung!

Wenn Sie bereits vor dem 01.09.2009 eine schriftliche Patientenverfügung erstellt haben, gilt sie fort. Es bedarf keiner Erneuerung, es sei denn, sie wollen aufgrund neuer Erkenntnisse inhaltlich etwas ändern. Abgesehen davon, dass die Patientenverfügung nunmehr schriftlich erstellt sein muss, ist die vorher gegebene Rechtslage im Wesentlichen nur im BGB festgeschrieben worden. Wie ich Anfang 2009 ausführte, hätte ich mir gewünscht, diese Vorschriften in einem Patientenrechtegesetz (PatRG) dargestellt zu sehen. Da ich mich jetzt für ein PatRG einsetze, habe ich für den Neusser Pflegetreff am 16.11.2010 auch das Thema "Patientenrechtegesetz ...." eingeplant. Ich werde vorschlagen, u.a. die Regelungen zur Patientenverfügung in das PatRG zu übernehmen:
viewtopic.php?t=14122

Unabhängig von der Patientenverfügung sollten Sie an die Abfassung einer Vorsorge-Vollmacht denken. Eine solche Vollmacht ist u.U. wichtiger als eine Patientenverfügung. Auf diese Feststellung lege ich bei entsprechenden Vorträgen usw. immer sehr großen Wert. Daher auch hier der Hinweis.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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Presse
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Registriert: 10.11.2006, 12:44

Lebensrecht für Komapatienten ....

Beitrag von Presse » 13.06.2010, 08:39

Neue Studie zu Wachkoma-Patienten:
Forscher kommunizieren mittels Erkennung von Hirnreaktionen


Cambridge / Luettich (ALfA). In Bezug auf eine Antwort auf die Frage, was in Patienten im Wachkoma wirklich vorgeht, und was diese von Ihrer Umwelt mitbekommen, ist belgischen und britischen Forschern offenbar ein kleiner Durchbruch gelungen. Mittels der funktionellen Kernspintomographie (fMRT),bei der die Aktivierung bestimmter Hirnareale an der gesteigerten Durchblutung erkannt wird, konnten sie in einer Studie mit 54 Patienten in Einzelfaellen Hirnreaktionen auf einfache "Ja-Nein"-Fragen erkennen und so mit Wachkomapatienten kommunizieren. ..... (mehr)
http://www.bv-lebensrecht.de/aktuell/ei ... ac03c5fe75

Siehe auch Andreas Zieger: Lebensrecht für Komapatienten
http://www.a-zieger.de/Dateien/Publikat ... srecht.pdf
Ethische Grenzfragen in der Langzeitbetreuung von Menschen
im Wachkoma und ihren Angehörigen

http://www.wachkoma.at/Informationen/ja ... zieger.pdf
Menschenwürde und das Recht auf Leben
http://www.1000fragen.de/hintergruende/ ... ?did=14#hl
Der Umgang mit Wachkoma-Patienten
Ein moraltheologischer Beitrag zu einer aktuellen Debatte
http://ethesis.unifr.ch/theses/download ... ltykaR.pdf

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