Aufsichtspflichten - eine "unendliche Geschichte"?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

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Lutz Barth
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Aufsichtspflichten - eine "unendliche Geschichte"?

Beitrag von Lutz Barth » 03.05.2009, 10:04

Entscheidungsfindung zwischen Sicherheit und Mobilitätsförderung:
Die Suche nach dem Königsweg


… so lautet ein aktueller Beitrag der Autoren Doris Bredthauer, Thomas Klie und Madeleine Viol in der Zeitschrift BTPrax 1/2009 und widmet sich im Kern einem nach wie vor zentralen Thema aus dem Pflegealltag: der Problematik der freiheitsentziehenden Maßnahmen in stationären Einrichtungen.

Erneut hat der Freiburger Rechtswissenschaftler Thomas Klie die Notwendigkeit gesehen, darauf hinzuweisen, dass sich die „pflegerechtliche Diskussion um die „Aufsichtspflicht“ in vollstationären Pflegeeinrichtungen nicht immer auf der Höhe der Zeit“ befindet und verweist hierzu auf den diesseits verfassten Dreiteiler in der Zeitschrift PflegeRecht zu den Aufsichtspflichten einer Alten- und Pflegeeinrichtung über einen dementiell erkrankten Bewohner.

Was ist dran an der These von Thomas Klie?

Mehr dazu erfahren Sie auf nachfolgenden Link
http://www.iqb-info.de/Aufsichtspflicht ... h_2009.pdf
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 13.05.2009, 09:35

Was Herr Barth das Damoklesschwert des Pflegenotstandes nennt ist leider ein verfälschendes Bild der Realität. Der Pflegenotstand ist längst eingetreten.

Es sei hier daran erinnert, dass die Personalschlüssel in Heimen von staatlichen Institutionen (Sozialämter/Pflegekassen) verhandelt werden.

Wenn aber der Staat aus Kostengründen Ressourcen festlegt, die eine Beaufsichtigung eigentlich nicht zulassen, kann doch umgekehrt diese Aufsichtspflicht nicht ernsthaft gefordert werden. Das ist wohl auch ein Hintergrund von Klies Argumentation, die ich aber deshalb ausdrücklich nicht unterstütze.

Weitere Fragen, z.B. inwieweit Pflegekräfte Gefährdungspotentiale einschätzen können und sollen , sind dann auch noch nicht beantwortet. Im Grunde läuft es immer auf Freiheitseinschränkungen hinaus und erlangt damit eine verfassungsrechtliche Dimension. Was mutet diese Gesellschaft hier Pflegekräften zu und mit welchem Recht?
Hier kann man tatsächlich von einem Damoklesschwert sprechen.

Aber um das noch einmal klar zu sagen: ohne eine Personalausstattung, die auch eine kontinuierliche Aufsicht überhaupt erst ermöglicht, erübrigen sich weitere Diskussionen.

Sabrina Merck
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Pflegenotstand muss behoben werden

Beitrag von Sabrina Merck » 13.05.2009, 10:20

thorstein hat geschrieben: .... Aber um das noch einmal klar zu sagen: ohne eine Personalausstattung, die auch eine kontinuierliche Aufsicht überhaupt erst ermöglicht, erübrigen sich weitere Diskussionen. ....
Hallo,
ich sehe es auch so, dass wir die Personalausstattung in den Pflegeeinrichtungen entscheidend verbessern müssen. Nur dann können vernünftigerweise Aufsichtsfunktionen übernommen werden.
Zur Zeit ist die Pflege darauf beschränkt, die notwendigsten Dienstleistungen zu erbringen, und das manchmal nicht ganz ausreichend. Wir haben einen Pflegenotstand - und der muss behoben werden.
MfG Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
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Lutz Barth
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Aufsichtspflichten einfordern?

Beitrag von Lutz Barth » 13.05.2009, 11:21

Nun - ich habe durchaus Verständnis für die vorstehenden Reaktionen, wenngleich doch darauf hinzuweisen ist, dass Aufsichtspflichten nicht gesondert einzufordern sind, sondern diese sich aus dem Gesetz und aus dem Heimvertrag ergeben!
Auch wenn der BGH in gewisser Weise diese Schutzpflichten an dem "wirtschaftlich und personell Zumutbaren" ausrichtet, verbleibt es aber im Kern dabei, dass Aufsichtspflichten - je nach der Verlaufssymtomatik etwa eines demenziellen Erkrankungsprozesses - begründet werden können.

Unabhängig hiervon sind freilich therapeutische Interventionskonzepte zu erarbeiten, aufgrund derer weitesgehend die Autonomie der gerontopsychiatrischen Bewohner - eher Patienten - gewahrt bleiben. Der fachliche Standard selbst entlastet allerdings die Gerichte nicht, diesbezüglich in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich im Zweifel bereits die Pflicht zur Aufsichtsführung konkretisiert hat. Insofern macht es also keinen Sinn, ganz generell Aufsichtspflichten zu leugnen, mal ganz davon abgesehen, dass aus den sozialrechtlichen Vorgaben nicht ohne Weiteres Vorgaben folgen, die den Haftungsrahmen verkürzen.

Ob allerdings das Kostenargument das entscheidende Argument von Klie sein dürfte, steht insofern zu bezweifeln an, weil er sich zunächst "nur" von einem intraprofessionellen Standard leiten lässt, bei dem zugleich das allgemeine "Lebensrisiko" eines Dementen resp. gerontopsychiatrisch veränderten Bewohners eine bedeutsame Rolle einnimmt. Er lässt sich gar zu der abenteuerlichen Schlussfolgerung verleiten, dass das Recht dem Standard zu folgen habe und dem ist mitnichten so!

Und nicht ganz unwesentlich scheint mir auch der Hinweis zu sein, dass gerade im Psychiatrierecht u.a. auch der BGH Kostenerwägungen, z.B. auch Fragen des Personaleinsatzes, jedenfalls nicht dahingehend anstellt, dass hierdurch etwa die Pflichten weniger bedeutsam einzustufen wären. Mit anderen Worten: Auch in einer stationären Pflegeeinrichtung könnte sich je nach dem konkreten Einzelfall auch die Verpflichtung zur Errichtung einer Sitzwache ergeben.

Dies mag zwar als "unzumutbar" betrachtet werden, ändert aber freilich nichts an dem Umstand, dass die Pflichten in erster Linie sich aus Rechtsnormen ergeben, in denen ggf. der fachliche Standard als allgemeiner Sorgpflichtsmaßstab transportiert wird.

Ungeachtet dessen ist freilich die Forderung zu erheben, dass es dringend erforderlich ist, die wirtschaftlichen und personellen Verhältnisse besser auszustatten. Allerdings sei es mir nachgesehen, dass der "Pflegenotstand" durchaus etwas differenzierter zu betrachten ist, zumal sich gerade die Altenpflege sukzessive von ihrem sozialpflegerischen Profil dergestalt verabschiedet hat, dass diese vermehrt zu ärzlichen Hilfsleistungen herangezogen wurde und diese unheilvolle Entwicklung durch nicht wenige Pflegerechtler geradezu begünstigt wurde. Sofern im Übrigen an anderer Stelle in diesem Forum die Deprofessionalisierungstendenzen beklagt werden, erscheint diesbezüglich dringend Klärungsbedarf geboten, weil im Zuge der Neuordnung der Gesundheitsberufe es zu befürchten ansteht, dass durch die (nicht weniger bedenkliche) Übernahme klassischer ärztlicher Tätigkeiten das Personal noch weiter verknappt wird. Spitzbübisch könnte man/frau meinen, eine Deprofessionalisierungskampagne zieht die andere notwendig nach sich, zumal bereits von den Verbänden der Ruf erhallt, dass mit der Übernahme genuin ärztlicher Tätigkeiten natürlich die Pflege auch der Entlastung bedarf. Wer also, so darf denn nachgefragt werden, übernimmt dann die ohne Frage bedeutungsvollen sozialpflegerischen Anteile bei der Betreuung eines Geriatriepatienten im Rahmen des multiprofessionellenTeams?

Gruß L.B.
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

thorstein
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Beitrag von thorstein » 13.05.2009, 15:30

§43 SGB11

Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernimmt die Pflegekasse im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge nach Satz 2 die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege.


Der behandlungspflegerische Aufwand liegt bei etwa 10 %.Bedenkt man, dass in der stationären Altenpflege etwa 50% Fachkräfte tätig sind, ergibt sich daraus, dass schon etwa ein Fünftel der Tätigkeiten ärztliche Hilfsleitungen darstellen. Hier von einem sozialpflegerischen Profil auszugehen war schon immer realitätsfremd und offensichtlich vom Gesetzgeber auch nie angestrebt. Die Definition als Heilberuf ist daher nur konsequent.

Es sollte vielleicht noch einmal klargestellt werden: eine Bewohnerin in einem Pflegeheim sieht, wenn sie ärztlich gut versorgt wird, einmal in der Woche für ein paar Minuten ihren Arzt. Ansonsten wird diese Bewohnerin rund um die Uhr von Pflegekräften versorgt, und dies, obwohl sie an etwa 5 –10 mehr oder weniger schwerwiegenden Krankheiten leidet.

Tatsächlich geht es aber beim Personalnotstand auch um die Vernachlässigung der sozialpflegerischen Profils. Es macht aber keinerlei Sinn, Profile gegeneinander auszuspielen, nach dem Motto: lasst doch die Behandlungspflege, dann habt ihr auch mehr Zeit für die BewohnerInnen. Eine gute medizinisch-pflegerische Ausbildung ist bei der multimorbiden Klientel unerlässlich.

Der Vergleich mit der Psychiatrie hinkt wohl am mehreren Stellen, vor allem aber an der Frage, wer dort die Personalschlüssel festlegt.

In einem Pflegeheim stehen durchschnittlich 80-90 min /Tag für die gesamte Versorgung einer Bewohnerin zur Verfügung – wie gesagt: staatlich verordnet. Schickt man einen Arzt mit 50 Spritzen Gegengift zu 100 Vergifteten, wundert sich keiner, wenn am Ende 50 tot sind. Es ist eben eine Frage der Ressourcen. Von Pflegekräften werden aber offensichtlich Wunder erwartet.

Die Frage der Aufsichtspflicht misst sich doch wohl entscheidend daran, inwieweit ich als Pflegekraft gezwungen bin, einen Demenzkranken einem allgemeinen Lebensrisiko auszusetzen. Ein einfaches Beispiel: bin ich im Spätdienst allein für 12 BewohnerInnen zuständig, muß aus nahliegenden Gründen eine Bewohnerin duschen und zwischenzeitlich verirrt sich ein Demenzkranker ins Treppenhaus und stürzt: allgemeines Lebensrisiko oder Folge des Personalnotstandes? Mehr Personal bedeutet also geringeres Risiko, umgekehrt aber auch: ist der Staat nicht bereit, mehr Personal zur Verfügung zu stellen, nimmt er das höhere Risiko in Kauf.

Cicero
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Lebensrisiko und Personalnotstand ...?

Beitrag von Cicero » 20.05.2009, 19:40

thorstein hat geschrieben:....
Die Frage der Aufsichtspflicht misst sich doch wohl entscheidend daran, inwieweit ich als Pflegekraft gezwungen bin, einen Demenzkranken einem allgemeinen Lebensrisiko auszusetzen. Ein einfaches Beispiel: bin ich im Spätdienst allein für 12 BewohnerInnen zuständig, muß aus nahliegenden Gründen eine Bewohnerin duschen und zwischenzeitlich verirrt sich ein Demenzkranker ins Treppenhaus und stürzt: allgemeines Lebensrisiko oder Folge des Personalnotstandes? Mehr Personal bedeutet also geringeres Risiko, umgekehrt aber auch: ist der Staat nicht bereit, mehr Personal zur Verfügung zu stellen, nimmt er das höhere Risiko in Kauf. ....
Hallo, orientiert an dem vorgestellten Beispiel kann man nur zustimmen. Allerdings ist die Relation Pflegekraft zu BewohnerInnen - 1 - 12 - noch günstig. Es gibt doch auch andere Situation: 1 : 30 und noch ungünstiger. - Ich sehe hier vielfältige Fragestellungen, nicht nur der Aufsichtspflicht! Man kann nur sagen: weitere Pflegereform mehr als überfällig. Hier im Forum wiederholt gefordert!
MFG Cicero
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Im Gleichklang: Frieden - Ausgleich - Demokratie - und: "Die Menschenwürde ist unantastbar"!

Dieter Radke
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Aufsichspflichten und verfügbares Personal

Beitrag von Dieter Radke » 21.05.2009, 08:17

Die Wahrnehmung der Aufsichtspflichten in den stationären Pflegeeinrichtungen hat auch meiner Meinung nach etwas mit dem verfügbaren Personal zu tun. Wenn es nicht genügend Personal gibt, und das ist die momentane Rechtslage, müssen die Anforderungen an die Aufsichtspflichten herabgesenkt werden. Jedenfalls kann das "Restpersonal" nicht alle Pflichten erledigen, die unsere Rechtsordnung vorsieht. Darüber müssen sich die Politiker und Heimträger / Verbände im Klaren sein.

Wir brauchen verbesserte Rahmenbedingungen, Personalbemessungssysteme und in Kosequenz davon mehr Pflegekräfte!

Dieter Radke
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Lutz Barth
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Herabsenkung des Standards?

Beitrag von Lutz Barth » 21.05.2009, 09:16

"Wenn es nicht genügend Personal gibt, und das ist die momentane Rechtslage, müssen die Anforderungen an die Aufsichtspflichten herabgesenkt werden", so das Statement von D. Radtke.

Dies würde allerdings in der Konsequenz bedeuten, dass der Sorgfaltsmaßstab, über den nicht selten die Patientenrechte generiert werden, zu vermindern sei und dies liegt wahrlich nicht im Interesse der Patienten.

Das Haftungsrecht kann durchaus "überobligatorischer Natur" sein und ich denke, dass dies auch seinen guten Grund hat. Richten wir künftig die Patienteninteressen an dem "wirtschaftlich und personell" Zumutbaren aus, dann versenken wir ein stückweit die Patientenrechte auch und gerade der Bewohner in stationären Einrichtungen.

Den Pflegenden resp. den Träger sollte ein diesbezüglicher "Freibrief" nicht erteilt werden - die Bewohnern werde es ihnen danken!

Im Übrigen können wir dann in der Folge auch die "Charta" wieder einstampfen, denn nehmen wir diese ernst, dann ist doch wohl klar, dass es die dort niedergelegten Grundsätze zum "Nulltarif" nicht geben wird.

Die hier in dem Forum immer wieder aufgworfene Forderung nach den Änderungen der Rahmenbedingungen würde konterkariert werden, wenn gleichsam andere bedeutsame Rahmenbedingungen - wie eben die Sorgfaltsmaßstäbe - einstweilen dispensiert oder gar aufgehoben werden würden.

Dies ist keine Lösung!

Mfg. Lutz Barth
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Dieter Radke
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Wie das Sorgfaltsgebot umsetzen ?

Beitrag von Dieter Radke » 21.05.2009, 10:00

Lutz Barth hat geschrieben: ... Den Pflegenden resp. den Träger sollte ein diesbezüglicher "Freibrief" nicht erteilt werden - die Bewohnern werde es ihnen danken! ...
Hallo herr Barth,
ich habe verstanden, was Sie uns sagen wollen und habe sogar dafür sehr viel Verständnis. Aber, was sollen denn die Pflegekräfte machen, die unter beträchtlichem Druck stehen und unsere wunderschönen (und grundsätzlichen auch richtigen) Rechtsregeln mangels zeitlicher und sonstiger Möglichkeiten einfach nicht umsetzen können? Verweisen wir sie allein auf die Überlastungsanzeigen, die man zur Entlastung schreiben kann? Oder gibt es sonst Hilfen?
MfG Dieter Radke
Menschenwürdige Pflege ohne Ausnahme! - Dafür müssen wir alle eintreten.

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@Herrn Radtke

Beitrag von Lutz Barth » 21.05.2009, 14:39

Hallo, Herr Radtke.

Nun - ich könnte es ähnlich halten, wir der Medizinrechtler Katzenmeier auf dem 112. Ärztetag im Rahmen der Debatte um die Priorisierung medizinischer Leistungen (vgl. dazu den Bericht im Ärzteblatt unter >>> http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/3 ... men_zu.htm ) und mich darauf zurückziehen, dass ich derzeit keine Patentlösung bereit habe.

Ich schätze den Kollegen sehr und er hat den "Ball" des Ärztetages aufgenommen und ich gehe davon aus, dass auch bei uns Juristen eine "alte Debatte" wieder aufleben wird.

Aber eines möchte ich schon zu bedenken geben: Rahmenbedingungen sind in der Tat zu ändern und dies bedeutet u.a. die Finanzierungsgrundlagen. Ich meine, dass wesentlich mehr Geld zur Verfügung zu stellen ist, wobei ich davon ausgehe, dass genügend "Reserven" vorhanden sind, wie die derzeitige Finanzkrise verdeutlicht. Im Übrigen zeigt mir das alljährliche Schwarzbuch des Steuerzahlerverbandes die kaum nachvollziehbare "Verschwendungssucht" und damit zugleich auch die fehlerhafte Verwendung des Steueraufkommens, von denen ein Teil sicherlich gut in der Betreuung von Bewohnern angelegt wäre. Ferner würde ich kritisch nachfragen wollen, warum wir trotz unserer vermeintlichen Finanznot es uns leisten können, kaum Erfolg versprechende Einsätze der Bundeswehr im Ausland zu finanzieren, mal ganz davon abgesehen, dass es mir nicht plausibel erscheint, über humanitäre Aspekte hinaus finanziell dazu beitragen zu müssen, wenn andere Staaten meinen (etwa im nahen Osten), Krieg führen zu müssen und wir mit ansehnlichen Beiträgen Wiederaufbauarbeit leisten müssen. Mit anderen Worten: Unsere "Freiheit" und die der Bewohner wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern in erster Linie hierzulande. Sofern also tatsächlich nicht ausreichend Geld für unsere Bewohner vorhanden sein sollte, müssten meiner Philosophie entsprechend einige "Auslandsprojekte" finanziell bescheidener ausfallen. Alternativ dazu wäre die unlängst zur Diskussion gestellte "Alzheimer-Abgabe" zu diskutieren, denn mit ihr wird zugleich auch die Frage entschieden, ob es uns tatsächlich etwas "wert" ist, die ältere Generation weitestgehend von ihren vermeintlich "typischen Lebensrisiken" frei zu halten.

Sie sehen also, ich würde die Politik mehr in die Pflicht nehmen wollen und vielleicht gelingt es ja den beruflich Pflegenden, hier weiter Druck aufzubauen, ggf. auch in Form einer konzertierten Aktion.

Mfg. L. Barth
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 22.05.2009, 12:09

Es bleibt doch merkwürdig: wenn es um Behandlungs- oder Pflegefehler geht, wird das als juristisches Problem diskutiert. Geht es aber um unzureichende Ressourcen, ist das ein politisches Problem. Nimmt man den Vorschlag ernst, dass Ärzte bei Überlastung die Behandlung verweigern sollen, müßten alle Pflegekräfte in den Heimen zu Hause bleiben.

Es sollte meiner Ansicht nach doch auch möglich sein, die Tatsache knapper Ressourcen auch unter juristischen Aspekten zu diskutieren. Warum kann man bei den Sozialgerichten oder auch beim Bundesverfassungsgericht nicht überprüfen lassen, ob bei den bestehenden Personalressourcen eine menschenwürdige Pflege überhaupt darstellbar ist? Läuft das nach dem Motto: wo kein Kläger, da kein Richter?

Ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass in ärmeren Bundesländern deutlich schlechtere Personalschlüssel gelten, also der Wohnort über die Qualität der Versorgung entscheidet?

Lutz Barth
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Beitrag von Lutz Barth » 22.05.2009, 13:17

Nun - das Problem ist komplexerer Natur und bedarf einer eingehender Analyse, die hier naturgemäß nicht geleistet werden kann.

Gleichwohl möchte ich zu bedenken geben, dass natürlich insbesondere das Sozialrecht sich vielfach von Kosten-Nutzen-Relationen leiten lässt; insofern werden also Wirtschaftlichkeitsüberlegungen berücksichtigt. Andererseits "konkurrieren" hier zwei "Syteme": das "Sozialrecht" und das "Haftungsrecht" - die jeweils eine andere Ziele verfolgen und derzeit noch nicht ausgemacht ist, ob etwa das Haftungsrecht den sozialrechtlichen Vorgaben schlicht zu folgen hat.

Das Problem der mangelnden Resourcen ist also durchaus auch in der Rechtswissenschaft virulent, wird allerdings "systembedingt" differenziert behandelt: Nehmen wir etwa das Psychiatrierecht, dann ließen sich hier etliche Gerichstentscheidungen einführen, die eben nicht (!) darauf abheben, was letztlich aus der Perspektive der Träger resp. der Verantwortlichen "personell und wirtschaftlich" zumutbar erscheint. Hier hat die Rechtsprechung deutliche Worte gefunden.

Der Gang nach Karlruhe ist ein sehr weiter, mal ganz abgesehen davon, dass dem Gesetzgeber - auch den Landesgesetzgebern - ein beachtlicher Beurteilungs- und damit Ermessensspielraum eingeräumt ist.

Letztlich ist und bleibt es aber ein politisches Probelm, dass der Politik zu lösen aufgegeben ist, wenngleich aber hier natürlich auch nicht in Vergessenheit geraten darf, dass "Pflege" - mal unspezifisch ausgedrückt - auch von Privaten organisiert wird. In der Literatur finden sich dazu gewichtige Stimmen, die ohne Frage zu Recht daran erinnern, dass die Unternehmen auch privatwirtschaftlich organisiert und orientiert sind.

Mit Blick auf die "Aufsichtspflichten" - speziell mit Blick auf den Demenzerkrankten - können wir freilich auch auf das bürgerliche Engagement setzen, wie nicht zuletzt auch einige Initiativen belegen. Ob allerdings dadurch das Problem in den Griff zu bekommen ist, vermag ich derzeit nicht zu beurteilen.

Entscheidend für die hiesige Lesart ist zunächst, dass klassische Aufsichtspflichten über einen Demenzerkrankten nicht generell geleugnet werden sollten und dass hieran auch nichts durch die Einführung eines neuen Begriffs in Gesalt des sog. herausforderndes Verhaltens geändert wird.

Im Übrigen ist der Hinweis von thorstein durchaus zielführend: ..."...alle Pflegekräfte (müssten) in den Heimen zu Hause bleiben".

Sofern Vorsorge im Rahmen eines Notdienstes getroffen wird und im Übrigen der "Streik" nicht als politischer Streik auszulegen wäre (der zu höchst einschneidenden arbeitsrechtlichen Folgen führen kann), hielte ich eine solche "konzertierte Aktion" für durchaus sinnvoll; allerdings sind hierfür die Grenzen sehr eng gesteckt.

Mfg.
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

Gerhard Schenker
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Aufsichtspflichten - Überlastungsanzeigen die Lösung ?

Beitrag von Gerhard Schenker » 23.05.2009, 07:31

Hallo Herr Barth,

Sie plädieren für eine uneingeschränkte Beachtung der Aufsichtspflichten gemäß Rechtslage, und zwar ungeachtet der oft mehr als mageren Personalausstattung und der sonstigen ungünstigen Bedingungen (= Arbeitsverdichtungen). Das hört sich zunächst einmal rechtlich korrekt an. Aber was ergibt sich daraus für die Pflegekräfte? Müssen sie für jedwede Nachlässigkeit haften?
Ich denke doch eher ein. Denn meines Wissens nach hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen Haftungseinschränkungen mit Rücksicht auf die Personalausstattungen unterstellt. Wenn nun Pflegekräfte sicher sein wollen: Müssen Sie nicht vorsorglich Überlastungsanzeigen schreiben, möglichst oft ?
Dies frage ich auch unter
viewtopic.php?t=11591
Dort geht es um Arbeitsverdichtungen!

MfG Gerhard Schenker
Das Pflegesystem bedarf einer umfassenden Reform - Pflegebegriff erneuern und Finanzierung zukunftsfest machen!

Lutz Barth
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Überlastungsanzeige!(?)

Beitrag von Lutz Barth » 23.05.2009, 09:24

Guten Morgen, Herr Schenker.

Ihr Hinweis ist durchaus richtig, dass der BGH in seinen beiden großen Entscheidungen (zur Sturzprophylaxe) zwei (neue) Kriterien in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt hat: die Frage nach dem "wirtschaftlich und personell" Zumutbaren. Diese beiden Entscheidungen sind in der Literatur vielfach besprochen und zum Teil eben auch kritisiert worden.

In diesem Sinne scheint es also ein "Streit" zu sein, der nur noch von akademischen Interesse ist (vgl. dazu die diametral entgegengesetzten Positionen von Klie und Barth, u.a. in der Zeitschrift Pflegerecht).

Andererseits sehe ich dies ein wenig differenzierter, da gute Gründe dafür streiten, dass der BGH ohne erkennbare Not zwei Kriterien eingeführt hat, die jedenfalls nicht die Träger und die Pflegenden, und noch weniger die Rechtswissenschaftler, dazu verleiten lassen sollten, die Rechtsprechungsentwicklung kritisch zu hinterfragen. Dies gilt im Übrigen auch für die Frage nach der Abwägung der insoweit betroffenen Grundrechte und der (leider nur) plakativen Inanspruchnahme des "Menschenwürdearguments".

Aber in der Tat haben Sie recht, dass hier mit der Überlastungsanzeige ein stückweit auf die unzureichende Personalsituation aufmerksam gemacht werden sollte, auch wenn ich persönlich davon ausgehe, dass natürlich die Frage der Zurverfügungstellung von ausreichendem Personal in erster Linie eine Verpflichtung des Trägers ist und demzufolge hier die zentralen Haftungsfragen anzusiedeln sind.

Ungeachtet dessen ist freilich immer der konkrete Einzelfall zu beurteilen, aber mir geht es in der Debatte auch um ein Höchstmaß an Rechtssicherheit sowohl der beruflich Pflegenden als auch der Träger, so dass nach einer tragfähigen Lösung vor dem Hintergrund der Bewohnerinteressen gesucht werden sollte.

Es ließen sich nämlich mehrere Szenarien haftungsrechtlich "denken", insbesondere unter der Annahme, dass mit dem sog. "herausfordernden Verhalten der BewohnerInnen" zugleich auch präventive und therapeutische Verfahren verbunden sind, die letztlich im Kompetenzbereich der konkret Pflegenden (resp. der PdL oder eines anderen Therapeuten) zu verorten sind. Hier liegt es dann nahe, über eine "Haftungsverlagerung" nachzudenken, da es immerhin Aufgabe der Pflegenden resp. der Therapeuten sein dürfte, exakt den Zeitpunkt der sich konkretisierenden "Fürsorge-, Betreuungs- oder Aufsichtspflicht" zu bestimmen, ab dem dann der Bewohner (z.B. der an Demenz Erkrankte) nicht mehr seinem typischen Lebensrisiko überantwortet wird.

Allein mit diesem Beispiel soll verdeutlicht werden, dass es zumindest lohnenswert erscheint, etwas intensiver über die mit den "Aufsichtspflichten" als Rechtsbegriff verbundenen Fragen nachzudenken, denn auch unter der Annahme, dass "fachliche Standards" im Umgang mit Bewohnern (Stichwort: herausforderndes Verhalten) künftig als "Leitlinien, Richtlinien oder Empfehlungen" generiert werden und somit nach intraprofessioneller Verbindlichkeit streben, verbleibt es dann letztlich bei der alles entscheidenden Frage, wer im konkreten Falle die Verantwortung für den Bewohner zu tragen hat - will heißen, wer haftet für das "Lebensrisiko" des Bewohners, dass in einem Moment höchster kognitiver Beeinträchtung sich eben nicht (!) als Lebensrisiko darstellt, sondern einen Zeitpunkt markiert, der Anlass zu einer therapeutischen Intervention bietet?

Sofern also in der Folge diese "therapeutische Interventionsverpflichtung" als Pflichtaufgabe der beruflich Pflegenden deklariert wird (analog bestimmter genuin ärztlicher Aufgaben gerade in der Altenpflege), könnte einiges dafür sprechen, dass dann der Weg in die primäre Haftung der beruflich Pflegenden vorgezeichnet ist, wenn im Übrigen der Träger seinen Organisationspflichten nachgekommen ist.

Insgesamt also ein akuelles Thema, auch wenn Thomas Klie meint, mir gegenüber vorhalten zu können, ich sei insoweit nicht "auf der Höhe der Zeit".

Derzeit "sitze" ich an einer größeren Abhandlung zu diesem Thema und von daher bitte ich um Verständnis, wenn ich vielleicht eher aus einer akademischen Warte heraus Ihre, verehrter Herr Schenker, völlig zu Recht aufgeworfenen Fragen einer Beantwortung zuführe, die vielleicht derzeit noch als unbefriedigend gewerte werden müssen.

Aber einstweilen darf ich vielleicht an dieser Stelle auf einen erst kürzlich von mir verfassten Kurzbeitrag auf meiner Homepage verweisen, der zur weiteren Problemsenibilisierung beitragen könnte:

Nachgehakt: „Aufsichtspflichten“ und „Herausforderndes Verhalten“
Mich haben einige Zuschriften erreicht, die mich zu einem nochmaligen Statement veranlassen (L. Barth, 15.05.09)


>>> http://www.iqb-info.de/Nachgehakt_Demen ... i_2009.pdf <<< (pdf.)

Ich wünsche Ihnen weiterhin ein angenehmes Wochenende.

Mfg.
Lutz Barth
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 23.05.2009, 13:10

Bezogen auf das BGH sei auf den Zirkel hingewiesen, indem wir uns argumentativ befinden. Das BGH sah sich wohl nicht in der Lage, eine eigenständige Einschätzung der derzeitigen Personalsituation vorzunehmen. Die Frage wäre auch, welche Gutachter oder Experten sich hier positionieren würden. Zu klären wäre dabei nämlich nicht mehr oder weniger, ob mit diesen Personalschlüsseln eine menschenwürdige Pflege überhaupt darstellbar ist. Ich kenne leider niemanden, der diese doch sich aufdrängende Frage bejaht, stattdessen gibt es aber zahlreiche Argumente, die eine Verneinung der Frage nahe legen.

Solange alle Beteiligten die derzeitigen Personalschlüssel als unhinterfragbaren status quo akzeptieren, kann sich an der juristischen Einschätzung nichts ändern. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Aufsichtsbehörden in direkter Abhängigkeit von den Kostenträgern stehen. Damit besteht in keinem Prozess in diesem Lande die Chance, dass die Aufsichtsbehörden die bestehenden Personalschlüssel angemessen einordnen oder gar kritisieren.

Dieser Zirkel gilt übrigens auch für Überlastungsanzeigen. Bei Überlastungsanzeigen in der stationären Altenpflege wird regelmäßig mit dem Hinweis auf die Einhaltung der Personalschlüssel reagiert. Das heißt die Träger können sich regelmäßig sicher sein, dass die Einhaltung der Personalschlüssel bei jedem Prozess ausreicht. Versetzt man sich in die Lage eines Richters oder Staatsanwalts, bleiben ja auch keine Spielräume. Die Personalschlüssel werden zwischen Sozialämtern, Pflegekassen und Trägern vereinbart und von MDK und Heimaufsicht kontrolliert. Also alles in Ordnung.

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