Sehr geehrte Damen und Herren,
Anfang März hat Familienministerin Kristina Schröder ihr Modell einer „Familien-Pflegezeit“ vorgestellt. Elisabeth Scharfenberg MdB, Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Pflegepolitik und Altenpolitik, hat diesen Vorschlag seinerzeit sehr kritisch kommentiert und ein umfassendes Konzept zur Entlastung pflegender Angehöriger gefordert. Daher hat die grüne Bundestagsfraktion nunmehr einen Antrag mit dem Titel „Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugspersonen wirksam entlasten und unterstützen“
http://www.gruene-bundestag.de/cms/init ... laste.html in den Bundestag eingebracht.
Eine Kurzfassung der grünen Forderungen sowie eine kritische Bewertung des Pflegezeit-Modells von Ministerin Schröder sehen Sie unten oder hier:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/pfle ... genug.html
Mit freundlichen Grüßen
i.A. Christian Hans
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Christian Hans
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Abgeordnetenbüro Elisabeth Scharfenberg MdB
Sprecherin für Pflegepolitik und Altenpolitik
Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen
Tel.: ++49 (0)30 227 -74532, Fax: -76655
E-Mail:
elisabeth.scharfenberg.ma01@bundestag.de
Web:
http://www.elisabeth-scharfenberg.de
Postanschrift:
Deutscher Bundestag, 11011 Berlin
Pressemitteilung vom 26. April 2010
Pflegezeit allein entlastet nicht genug
Kritische Analyse und grüne Forderungen
Im Jahr 2050 werden bis zu vier Millionen Menschen pflegebedürftig sein. Das Pflegesystem würde ohne die Bereitschaft von Angehörigen und Bezugspersonen, im Pflegefall Verantwortung zu übernehmen, schon heute kollabieren. Zugleich erleben wir einen tiefgreifenden Wandel der Erwerbs- und Familienstrukturen. Auch auf Grund beruflicher Erfordernisse leben immer weniger Familien am selben Ort. Dies erschwert die ohnehin mangelhafte Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf.
"Familien-Pflegezeit": löblicher Versuch mit vielen Haken
Es bestand und besteht erheblicher Handlungsbedarf. Das Einleiten der erforderlichen Maßnahmen war längst überfällig. So überraschte das Anfang März 2010 von Familienministerin Schröder vorgestellte Modell für eine bis zu zweijährige "Familien-Pflegezeit" für erwerbstätige pflegende Angehörige nicht sonderlich. Allerdings überraschte – bei allem Respekt für den Vorstoß der Ministerin - wie undurchdacht dieser doch an vielen Stellen ist. Das Modell sieht vor, dass während der Pflegezeit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin zu mindestens 50 Prozent arbeiten sollen, dafür aber 75 Prozent des Gehalts beziehen. Nach Ablauf der Pflegezeit kehren sie auf eine Vollzeitstelle zurück, beziehen aber weiter nur 75 Prozent des Gehalts. bis die Vorauszahlung abgegolten ist.
Warum diese Modell aber für viele Menschen ungeeignet ist, zeigen nachfolgend einige Beispiele:
Was passiert beispielsweise, wenn Arbeitnehmer nach zweijähriger Pflegezeit nicht auf eine Vollzeitstelle zurückkehren können? Was, wenn während der Pflegezeit Arbeitsunfähigkeit eintritt? Muss vorausgezahltes Gehalt dennoch zurückgezahlt werden?
Die im Schröder-Modell gewählten zwei Jahre sind willkürlich. Die durchschnittliche Pflegedauer zieht sich über viele Jahre. Was kommt danach?
Der Druck auf die Pflegeperson erhöht sich. Denn nach Ablauf der zwei Pflegezeitjahre steht sie gegenüber dem Arbeitgeber in rechtlicher Verpflichtung, ihre Arbeit wieder voll aufzunehmen. Und das unabhängig davon, ob die Pflegesituation fortbesteht.
Menschen, deren Angehörige nicht am selben Ort leben, profitieren von diesem Modell nicht.
Das Modell ist bei der Versorgung schwer pflegebedürftiger Angehörigen kaum realisierbar.
Die Pflegezeit soll nur engeren Familienmitgliedern gewährt werden. Das widerspricht der Vielfalt der heutigen Lebensmodelle und behindert die Verantwortungsübernahme auch außerhalb familiärer Bindungen.
Für Geringverdiener und Personen in fragilen Erwerbssituationen dürfte eine Pflegezeit, in der man vier Jahre von 75 Prozent des Einkommens leben muss, kein Anreiz zur Übernahme von Verantwortung im Pflegefall sein.
Pflegerisches Gesamtkonzept nötig
Frau Schröder macht einen entscheidenden Denkfehler: Sie ignoriert die vielfältigen Gründe, die unter Umständen dazu führen, dass Familien Pflege nicht übernehmen. Auch denen, die pflegen wollen, ist mit einer Pflegezeit allein nur bedingt geholfen. Einzelmaßnahmen wie eine Pflegezeit werden künftig kein essentiellen Beitrag zur Förderung und zur Pflegebereitschaft von Angehörigen leisten können. Um denjenigen wirklich zu helfen, die Pflege und Beruf besser miteinander verbinden möchten, aber auch denjenigen, die sich ausschließlich der Pflege widmen, braucht es in erster Linie zielgerichtete Entlastungsangebote. Konkret heißt das, wir brauchen flexible, flächendeckende und bezahlbare Leistungen.
In unserem Antrag Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf verbessern – Pflegende Bezugspersonen wirksam entlasten und unterstützen
http://www.gruene-bundestag.de/cms/init ... laste.html haben wir daher Forderungen für eine umfassende Entlastung pflegender Angehöriger formuliert.
Wir fordern:
- eine maximal dreimonatige Pflegezeit, die vor allem der Organisation der Pflege oder der Übernahme einer Sterbebegleitung dient. Die Pflegezeit geht mit einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung in Höhe von 50 Prozent des Nettogehalts einher: mindestens 300 Euro, maximal 1.000 Euro. Anspruchsberechtigt sind nach einem erweiterten Familienbegriff auch Personen ohne verwandtschaftliche Beziehung.
- das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) so weiterzuentwickeln, dass ein Rückkehrrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Arbeitszeit besteht, die vor der Arbeitszeitreduzierung galt, zum Beispiel bedingt durch eine Pflegesituation.
- einen Anspruch aller Pflegeversicherten auf individuelle unabhängige Pflege- und Wohnberatung, Aufklärung, Unterstützung und Begleitung durch ein neutrales und unabhängiges Case-Management (Fall-, Assistenz-Management).
- Forschungsprojekte zur Entwicklung und Erprobung individueller, flexibler Arbeitszeitmodelle zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu fördern und bekannt zu machen.
- Förder- und Anreizstrukturen für mehr bürgerschaftliches Engagement sowie für den Ausbau komplementärer und haushaltsnaher Dienstleistungen im Bereich der Pflege.
- eine deutlich bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Feld der Pflege.
- den Ausbau entlastender ambulanter Leistungsangebote, wie der Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege, die Verbesserung ihrer Finanzierung und die Entwicklung neuer Entlastungsangebote.
- die Förderung und den Ausbau alternativer Wohn- und Versorgungsformen.
Aufgrund der herben Kritik, der sich Familienministerin Schröder bei der Vorstellung ihres "Familien-Pflegezeit" Modells ausgesetzt sah, sollen ihre Vorschläge nun noch einmal überarbeitet und im Herbst der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wir werden diesen Prozess kritisch verfolgen und sind sehr gespannt darauf, ob es der Familienministerin gelungen ist, mit der Kritik der Öffentlichkeit konstruktiv umzugehen.