Gericht bestimmt Praxiswert bei Vertragspraxis

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Gericht bestimmt Praxiswert bei Vertragspraxis

Beitrag von Presse » 17.02.2008, 15:04

Mitteilung vom 17.2.2008:

Gericht bestimmt Praxiswert bei Vertragspraxis – Preisvereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer irrelevant!

In einem Aufsehen erregenden Urteil vom 22.11.2007 hat das Landessozialgericht sich über die Preisvereinbarung von Praxisverkäufer und –käufer hinweggesetzt, da es den Kaufpreis als unangemessen zu hoch ansah und hat damit die Rechte des Praxisverkäufers empfindlich beschnitten. Sollte diese Rechtsprechung Schule machen, sind Praxiswerte in Gefahr und Praxisverkäufer müssen sich Gedanken machen, wie sie künftig die Praxis erfolgreich verkaufen.

Landessozialgericht Stuttgart (Az: L 5 KA 4107/07 ER-B)

Zum Urteil
Eine Psychotherapeutin hatte ihre Vertragsarztpraxis ausgeschrieben und mit einem Bewerber einen Kaufpreis in Höhe von 45.000 € vereinbart. Der Zulassungsausschuß hatte einem anderen Bewerber den Zuschlag erteilt, der wiederum nur bereit war, 20.000 € zu zahlen. Die Verkäuferin brachte in den darauf folgenden Gerichtsprozess ein Praxiswertgutachten ein, welches den Praxiswert auf über 56.000 € auswies. In einer Sitzungspause einigten sich dann der vom Zulassungsausschuss bevorzugte Bewerbe und die Praxisverkäuferin auf einen Preis in Höhe von 40.000 €. Der Richter sah diesen Preis als „nicht angemessen“ an und vertrat die Auffassung, dass der Praxisverkaufspreis über dem Verkehrswert der Praxis läge und ordnete die Einholung eines Praxiswertgutachtens an. Der Versuch der Praxisverkäuferin, mit einer einstweiligen Anordnung dagegen vorzugehen, blieb erfolglos.

Stellungnahme zum Urteil
Das Urteil samt Begründung ist alarmierend, denn es zeigt, dass die Privatautonomie, einen Preis zwischen Käufer und Verkäufer zu verhandeln, erheblich von der Rechtsprechung eingeschränkt wird. Obwohl sich hier Käufer und Verkäufer geeinigt und dies dem Gericht mitgeteilt hatten, ignorierte der Richter den gefundenen Kaufpreis und vermutete eine Überhöhung des Kaufpreises. Objektive Kriterien, aus denen zu entnehmen gewesen wäre, welche Anhaltspunkte für eine Preisüberhöhung gegeben hätten, wurden vom Gericht nicht genannt. Das Gericht hat sich allein auf § 103 Abs.4 S.6 SGB V gestützt und wie folgt ausgelegt:

„...keiner von mehreren Bewerbern [soll] gegenüber den anderen durch Zahlung eines überhöhten Kaufpreises einen Vorteil verschaffen können. E sei vielmehr zu verhindern, dass die staatliche Maßnahme der Bedarfsplanung und Zulassungbeschränkung das Preisniveau nach oben treibe. Das wirtschaftliche Interesse des Abgebers an einem hohen Kaufpreis sei nur bis zur Höhe des Verkehrswertes geschützt. Dies berechtig zur Schlussfolgerung, dass im öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahren der objektive Verkehrswert einer Praxis auch dann durch Ermittlungen der Zulassungsgremien festgestellt werden dürfe, wenn sich Abgeber und Bewerber über einen bestimmten Kaufpreis einig seien, aber berechtigte Zweifel daran bestünden, ob dieser Kaufpreis mit dem Verkehrswert einigermaßen übereinstimme. Solche berechtigten Zweifel bestünden hier aber.“...

§ 103 Abs.4 S.6 SGB V
Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes oder seiner Erben sind nur insoweit zu berücksichtigen, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswertes der Praxis nicht übersteigt.

Der Kern des Problems ist durch das Gericht leider nicht festgestellt worden: anhand welches Anhaltspunkte gab es Anlaß für das Gericht anzunehmen, dass der Kaufpreis überhöht sei? Hierzu sind keinerlei Ausführungen gemacht worden.

Bedeutend ist auch, dass es im vorliegenden Fall kaum einen „objektiven Verkehrswert“ der Praxis geben kann. Denn das Praxiswertgutachten der Verkäuferin hatte einen materiellen Praxiswert in Höhe von 3.305 € und einen immateriellen Praxiswert in Höhe von 53.099 € festgestellt. Was genau ist denn der „Verkehrswert“ nach dem SGB V?
Leider hat der Gesetzgeber hierzu keine Regelung getroffen, was der Verkehrswert einer Praxis ist und wie er (objektiv) festgestellt wird. Im SGB V findet sich hierzu keine Regelung. Im Bürgerlichen Gesetzbuch fahndet man ebenfalls erfolglos nach einer konkreten Regelung. Ökonomen bezeichnen den Verkehrswert eines Produktes auch als dessen Marktwert, mit anderen Worten, den Preis, den der Markt bereit ist, für ein Produkt zu bezahlen. Dem unterliegen die Gesetze nach Angebot und Nachfrage. Nun ist der Verkehrswert tatsächlich im Gesetz definiert, wenngleich in einem völlig anderen Bereich: im § 194 Baugesetzbuch (BauGB) findet sich folgende Regelung:

Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre..

Juristen können sich beim Vorliegen von Gesetzeslücken behelfen, indem sie (u.a.) Analogien zu Regelungen aus anderen Bereichen bilden, welche auf den betreffenden Sachverhalt und den Regelungsgehalt passen können. Bildet man nunmehr für die Frage des Verkehrswertes der psychotherapeutischen Vertragspraxis eine Analogie aus der vorgenannten Vorschrift, würde dies dennoch nur begrenzt weiterhelfen. Denn die Messparameter sind damit immer noch nicht definiert: Der überwiegende Wertteil einer psychotherapeutischen Praxis (wie auch das von der Verkäuferin vorgelegte Gutachten zeigte) besteht aus immateriellen Werten. Diese setzen sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen: Lage der Praxis, Ruf der Praxis, Organisation der Praxis, Mitbewerber, Patientenstruktur, Stabilität des Umsatzes, Qualifizierung des Personals, Pflege der Patientendokumentation, Online-Kommunikationsbasis für Patienten, Kooperationen mit anderen Fachgebieten usw. Hinzu kommt gerade bei der Übernahme eine psychotherapeutischen Praxis die Unsicherheit, ob der Patientenstamm tatsächlich bereit ist, sich von einem (völlig unbekannten) Nachfolger weiterhin psychotherapeutisch betreuen zu lassen. Damit ist die Stabilität des Umsatzes ein Risikofaktor, der einer erheblichen Schwankungsbreite unterliegt. Dies wiederum hat erheblichen Einfluß auf die Risikobereitschaft des Praxisnachfolgers, welchen Preis er/sie bereit ist, auf den „Goodwill“ (immateriellen Wert) der Praxis zu bezahlen. Diese Problem soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, es soll nur verdeutlicht werden, dass eine Objektivierung des immateriellen Wertes einer Praxis – und insbesondere eine psychotherapeutischen Praxis nicht gelingen wird. Es ist ein Fehler anzunehmen, dass die Beauftragung eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von Arztpraxen einen bestimmten Verkehrswert einer psychotherapeutischen Praxis ermitteln würde. Die Erfahrung zeigt, dass unterschiedliche Sachverständige zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dies ist auch gerechtfertigt, da sie die eben nicht objektiven Kriterien unterschiedlich gewichten können und damit auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das hat nichts mit der Qualität der Sachverständigen zu tun, sondern liegt allein in der Natur der Sache, bei der es um Werteinschätzungen von immateriellen Wertfaktoren geht.

Im vorliegenden Fall bestehen demnach zwei Kernprobleme:

Es gab keinen objektiven Anhaltspunkt für den Richter anzunehmen, dass der vereinbarte Kaufpreis über dem Verkehrswert der Praxis läge. Daher war die Anordnung eines Gutachtens nicht legitim.
Selbst das gerichtlich angeordnete Gutachten ist nicht geeignet, den objektiven Verkehrswert einer Praxis festzulegen. Weder spiegelt es den Marktwert wider, da damit nicht festgestellt werden kann, was der Markt tatsächlich bereit ist, für die Praxis zu zahlen, noch kann es den primär aus immateriellen Werten bestehenden Preis objektiv gewichten.

Empfehlungen für Praxisabgeber und –erwerber
Haben sich Praxisabgeber und –nachfolger über den Preis und die Übernahmemodalitäten geeinigt, sollte nach den Neuerungen aus dem Vertragsarztrechtänderungsgesetzes (VÄndG) folgendes durchgeführt werden:
Der Praxisnachfolger (ohne Zulassung) wird bei dem Praxisverkäufer (mit Zulassung) angestellt (das ist nach dem VÄndG möglich). Er arbeitet dann auf der Zulassung des Nachfolgers mit (analog zum Job-Sharing) und erhöht somit seine Chancen auf den Zuschlag des Zulassungsausschusses auf die Zulassung, da er/sie bereits Patientenkontakt hat und die Kontinuität der Patientenversorgung gewährleisten kann. Diese Bewerber auf eine Zulassung sind im Vorteil gegenüber Mitbewerbern. Es empfiehlt sich, die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile, sowie die Dauer einer solchen Übergabestrategie zu berechnen – eventuell ist der Praxisnachfolger auch bereit, in der Übergangszeit auf einen Teil seines Gehaltes zu verzichten, der wiederum auf den Kaufpreis angerechnet werden kann.

Bei dem Einstieg in eine Gemeinschaftspraxis ist ein solcher Eingriff des Zulassungsausschusses in die Privatautonomie der verbleibenden Gesellschafter der Praxis im übrigen erheblich eingeschränkt. Hier besteht für den Zulassungsausschuss oder das Sozialgericht nicht die Möglichkeit, einen Mitgesellschafter unter den Bewerbern auszuwählen, den die anderen Mitgesellschafter ablehnen. Insoweit können Praxisverkäufer vor Praxisabgabe überlegen, ob sie mit einer anderen Praxis eine Gemeinschaftspraxis gründen, bevor es zum Verkauf der Praxisanteile und des Vertragsarztsitzes kommt.

Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Schlegel
Prof. Schlegel & Kollegen
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© Der Kassenarzt / Prof. Schlegel
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