Expertenstandards in der Pflege

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

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Expertenstandards in der Pflege

Beitrag von Gast » 07.12.2004, 13:06

Expertenstandards in der Pflege
Sturzprävention im Alter: Der bei einer Konsensus-Konferenz vorgestellte Entwurf bezieht ärztliches Handeln vielfach mit ein

von Andrea Icks

Nachdem in den letzten Jahren Expertenstandards in der Pflege zu den Themen Dekubitusprophylaxe, Entlassungsmanagement und Schmerzmanagement veröffentlicht wurden, wurde im Oktober der Entwurf des 4. Expertenstandards zum Thema Sturzprophylaxe vorgestellt (1). Zur Konsensuskonferenz luden das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) und der Deutsche Pflegerat nach Osnabrück ein. In der nun folgenden Diskussion zur Erstellung der Endversion der Standards ist auch die Ärzteschaft angesprochen.

Die Expertenstandards haben die Qualitätsentwicklung in der ambulanten und stationären Pflege zum Ziel. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales werden die Standards in einem definierten Verfahren entwickelt und implementiert: Nach Erarbeitung eines Entwurfs auf der Basis einer systematischen Sichtung und Bewertung vorliegender Publikationen wird dieser auf einer Konsensuskonferenz der Fachöffentlichkeit vorgestellt und diskutiert.

Weiterhin werden eine Reihe von Fachvertretern anderer Berufsgruppen und Verbände und Organisationen des Gesundheitswesens um Stellungnahme gebeten. Auf Grundlage der Rückmeldungen wird der endgültige Standard veröffentlicht. In einer begleitbeobachteten Einführung der Standards in 15 bis 20 Modelleinrichtungen werden Akzeptanz und Praxistauglichkeit geprüft und Bedingungen für die Umsetzung in die Routineversorgung formuliert.

Die Expertenstandards haben – wie ärztliche Leitlinien – keinen formal bindenden Charakter. Sie werden jedoch in Qualitätssicherungsprogrammen pflegender Dienste und Einrichtungen in hohem Maße berücksichtigt. Auch dienten sie in der Vergangenheit als Basis bei der Erstellung von Qualitätsindikatoren in der gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätssicherung bis hin zur Verwendung als Expertise bei der Arbeit der Sozialgerichte (2).

Sturzprävention im Alter

Sturz ist ein häufiges Ereignis im Alter. Schätzungsweise 30 Prozent der über 65-Jährigen und 80 Prozent der über 80-Jährigen zu Hause lebenden Senioren stürzen mindestens einmal pro Jahr. Ambulant oder stationär Pflegebedürftige haben ein besonders hohes Sturz- und Frakturrisiko. Insbesondere die hüftnahe Fraktur als Folge eines Sturzes ist ein großes gesundheitliches Problem älterer Menschen. In Deutschland erleiden pro Jahr schätzungsweise 100.000 ältere Menschen eine Hüftfraktur. Die Sturzfolgen für die Betroffenen sind Immobilität, Pflegebedürftigkeit und damit eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität (3, 4).

Der Expertenstandard benennt Struktur-, Prozess- und Ergebnisziele für die Sturzprävention in der Pflege. So sollen Pflegefachkräfte das Sturzrisiko von älteren Pflegebedürftigen erheben und dokumentieren sowie bei sturzgefährdeten Personen geeignete Präventionsmaßnahmen selbst vornehmen oder initiieren. Weiterhin sollen Sturzereignisse ausführlich dokumentiert werden, damit eine Grundlage für die interne Qualitätsdiskussion zur Verfügung steht. Zudem hat die Dokumentation Absicherungsfunktion in haftungsrechtlicher Sicht, beispielsweise im Fall von zunehmend häufigeren Regressansprüchen.

Relevanz für die Ärzteschaft

Die im Pflege-Expertenstandard formulierten Ziele beziehen ärztliches Handeln vielfach mit ein. Zu nennen sind hier zum Beispiel die Erhebung des Sturzrisikos älterer Patienten, möglicherweise im Rahmen eines geriatrischen Assessments, die Verordnung von Hilfsmitteln wie Gehhilfen oder Hüftprotektoren oder von gezieltem Kraft- und Balancetraining, die Beurteilung des Sehvermögens oder die Überprüfung und möglicherweise Umstellung der Medikation. Diese Maßnahmen werden auch in Empfehlungen und medizinischen Leitlinien verschiedener ärztlicher Verbände und Fachgesellschaften und der Weltgesundheitsorganisation formuliert (5, 6, 7, 8 ). Die Erhebung des Sturzrisikos ist im Rahmen des „hausärztlichen geriatrischen Basisassessments“ im neuen EBM abgebildet. Problematisch ist, dass nachweislich effektive sturz- und frakturpräventive Interventionen wie Kraft- und Balancetraining und Hüftprotektoren nicht Bestandteil der Regelversorgung sind.

Interdisziplinäre Aufgabe

Sturzprävention bei Senioren ist nur interdisziplinär zu leisten, also durch Zusammenarbeit aller in die Versorgung von älteren Menschen einbezogenen Berufsgruppen und Institutionen sowie mit den Senioren selbst und ihren Angehörigen. Fachgruppen sollten daher Maßnahmen zur Sturzprävention gemeinsam diskutieren, Modelle umsetzen und evaluieren, wobei möglicherweise auch Seniorenverbände mit einzubeziehen sind. Politische Entscheidungsträger und Kostenträger sind gefordert, nachgewiesenermaßen effektive Maßnahmen in die Routineversorgung einzubinden.

Literaturliste
1. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg). Arbeitstexte zur 4. Konsensuskonferenz in der Pflege. Thema: Sturzprophylaxe. Schrift der Fachhochschule Osnabrück, September 2004
2. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg). Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. 2002
3. Kruse A: Gesund altern. Stand der Prävention und Entwicklung ergänzender Präventionsstrategien. Schriftenreihe des BMG, Band 146, Nomos Baden-Baden 2002
4. Ärztekammer Nordrhein. Gesund und mobil im Alter – Vermeidung von Sturz und sturzbedingter Verletzung. Broschüre der ÄkNo, 2002
5. Bundesärztekammer (Hrsg): Unfallprophylaxe. Texte und Materialien zur Fort- und Weiterbildung, 2001
6. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM): Leitlinie Nr. 5: Ältere Sturzpatienten. 2003
7. WHO (Hrsg). What are the main risk factors for falls amongst older people and what are the most effective interventions to prevent these falls? Health Evidence Network (HEN), March 2004
8. ProFaNE: www.profane.org
9. Wagener W. Beispielhafter Dekubitus: Handeln von Pflegenden und Ärzten besser verknüpfen. Deutsches Ärzteblatt 99, Ausgabe 31-32 vom 05.08.2002, Seite A-2090 / B-1770 / C-1666

Quelle: Bericht der Ärztekammer Nordrhein / Rheinisches Ärzteblatt 12/04
http://www.aekno.de/htmljava/frameset.a ... e=navi.asp

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