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Mangelernährung im Alter: das unterschätzte Problem

Verfasst: 14.09.2012, 05:50
von WernerSchell
Mangelernährung im Alter: das unterschätzte Problem

(13. September 2012) Bei der Diskussion um die Ernährung geht es häufig um Übergewicht und seine schädlichen Folgen für Herz, Kreislauf und Gelenke. Dabei gerät die Kehrseite der Medaille aus dem Blick: Mehr als 80 Prozent der alten Patienten, die in eine Klinik kommen, haben ein hohes Risiko für Mangelernährung oder sind akut mangelernährt – mit zum Teil dramatischen Folgen. Das Wiegen der Patienten und die Bestimmung des so genannten Body-Mass-Index reichen oft nicht aus, um die Bedrohung zu erkennen. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) empfiehlt daher ein einfaches Screening für die klinische Routine.

Neue Zahlen zur Mangelernährung im Alter
„Mangelernährung im Alter ist kein Randproblem“, betont der Präsident elect der DGG, Prof. Dr. Ralf-Joachim Schulz aus Köln, auf dem Gemeinsamen Gerontologie- und Geriatriekongress Bonn2012 vom 12. bis 15. September.
Eine neue Erhebung des Lehrstuhls für Geriatrie der Uniklinik Köln unter 1.252 ernährungstherapeutisch betreuten Patienten belegt dies. Danach sind lediglich 17,7 Prozent der durchschnittlich 80 Jahre alten Patienten gut ernährt, bei 58,7 Prozent besteht ein deutliches Risiko für Mangelernährung und 23,6 Prozent der Patienten sind akut mangelernährt (2).

Die Konsequenzen
Eine Mangelernährung hat für die Betreffenden erhebliche Auswirkungen: Das Immunsystem wird schwächer und die Muskelkraft sinkt, der Betreffende ist insgesamt krankheitsanfälliger, Wunden heilen schlechter. Außerdem sind mangelernährte Patienten eher müde und geistig weniger leistungsfähig, auch der Antrieb und die Lebensfreude gehen zurück. Mangelernährte Patienten erholen sich schwerer von Krankheiten und müssen häufig länger in der Klinik bleiben. Das Risiko, an Krankheiten zu sterben, ist deutlich höher.

Wann Mangelernährung beginnt
Einen einfach zu ermittelnden Hinweis für eine Mangelernährung bietet der Body-Mass-Index. Er berechnet sich aus dem Gewicht geteilt durch die Größe im Quadrat. Ein 1,80 Meter großer Mann, der 80 Kilogramm wiegt, hat einen BMI von 80/1,80^2, also 24,7 kg/m². Ein BMI unter 20 weist auf eine Mangelernährung hin, fällt der Wert unter 18,5 kg/m² ist der Betreffende sicherlich mangelernährt.
Die Kölner Untersuchung belegt aber, dass der BMI nicht ausreicht, um mangelernährte Patienten zu erkennen. Laboruntersuchungen auf die Nährstoffe Vitamin D, Cobalamin und Folsäure, bei denen im höheren Alter ein Risiko für eine Unterversorgung besteht, zeigten, dass viele mangelernährte Patienten einen unauffälligen BMI haben. „Wir empfehlen für die klinische Routine daher neben der Bestimmung des BMI sechs einfache Fragen, die den Ernährungszustand des Patienten beleuchten“, so Schulz. Diese betreffen
- einen Gewichtsverlust in den vergangenen Monaten
- die Mobilität des Patienten
- die Selbstständigkeit bei der Essensaufnahme
- die Zahl der Hauptmahlzeiten
- die Flüssigkeitszufuhr und
- die subjektive Gesamteinschätzung des Gesundheitszustandes durch den Patienten.
Der einfach auszufüllende Erhebungsbogen erfordert während des Patientengespräches in der Klinik knapp fünf Minuten.
Obgleich der Nutzen eines frühzeitigen Screenings auf Mangelernährung bekannt ist, stellte die Arbeitsgruppe Ernährung der DGG in einer Umfrage fest, dass nur 40 Prozent der geriatrischen Kliniken in Deutschland entsprechende Screenings umsetzen (1).

Ursachen für Mangelernährung im Alter
„Die Mangelernährung im Alter hat viele Ursachen“, betont Schulz. Ältere Menschen sind oft weniger hungrig, das Sättigungsgefühl stellt sich eher ein. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der Magen bei älteren Menschen langsamer entleert (3).
Wichtig und oft unterschätzt sind Geruchs- und Geschmacksstörungen: Sie vermindern den Genuss beim Essen und führen dazu, dass die Betreffenden Mahlzeiten auslassen. Geruchs- und Geschmacksstörungen sind häufig: Rund die Hälfte der älteren Menschen sind davon betroffen. Auch Kau- und Schluckbeschwerden sind als Ursachen für eine zu geringe Nahrungsaufnahme häufig.
Wichtig sind außerdem unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Mundtrockenheit oder Übelkeit. Auch sie führen dazu, dass die Patienten zu wenig essen.
Schließlich kann nahezu jede akute oder chronische Erkrankung eine Mangelernährung auslösen. Wichtige Beispiele sind Infektionen, operative Eingriffe und Schilddrüsenerkrankungen.

Neben den körperlichen Ursachen betont Schulz auch die psychosozialen Hintergründe: „Ein häufiger Grund ist Einsamkeit. Allein zu kochen und zu essen macht den Betreffenden keine Freude, deshalb verringern sie ihre Mahlzeiten nach und nach immer mehr“, so der Geriater.
Immer bedeutsamer werden außerdem Demenzen. Die meisten Patienten verlieren im Verlauf der Erkrankung deutlich an Gewicht. In frühen Stadien sind dafür eher neurologische und hormonelle Faktoren verantwortlich, schreitet die Krankheit fort, führen die kognitiven Defizite zu immer größeren Problemen auch beim Essen (3).

1 Smoliner C, Volkert D, Wirth R. Management of malnutrition in geriatric hospital units in Germany. Z Gerontol Geriatr. 2012 Jun 27. [Epub ahead of print]
2 Noreik, Michaela: Evaluation der Ernährungstherapie in einer geriatrischen Klinik - Analyse von Effekt, Kosten und Nutzen der Ernährungstherapie in einer Jahresbilanz. Dissertation am Lehrstuhl für Geriatrie der Universität zu Köln. Eingereicht
3 Bauer JM, Wirth R, Volkert D et al, Malnutrition, Sarkopenie und Kachexie im Alter – Von der Pathophysiologie zur Therapie. Dtsch Med Wochenschr 2008; 133:305-310

Weitere Informationen:
http://www.dggeriatrie.de/presse/438-pr ... angelernae...

Quelle: Pressemitteilung vom 13.09.2012
Nina Meckel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
http://idw-online.de/de/news496186

Optimale Ernährung im Alter

Verfasst: 30.09.2016, 18:57
von WernerSchell
Optimale Ernährung im Alter

Abschluss der Gießener Senioren Langzeitstudie (GISELA) zu Ernährung und Gesundheit älterer Menschen – Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für 20-jährige Treue und bemerkenswertes Engagement

Wie ernährt man sich im Alter optimal? Das ist eine zentrale Frage in unserer Gesellschaft, die sich im demographischen Wandel befindet. Die Gießener Senioren Langzeitstudie (GISELA), die am Institut für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) vor mehr als 20 Jahren begonnen hat, bringt Licht in die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit im Alter. Zu verdanken sind diese Studienergebnisse vor allem rund 590 Seniorinnen und Senioren, die über zwei Jahrzehnte lang regelmäßig zu Messungen und Befragungen ins Institut für Ernährungswissenschaft gekommen sind.

Die GISELA-Studie ist eine prospektive Kohortenstudie zum Ernährungs- und Gesundheitsstatus älterer Menschen im Verlauf des Alterns. Sie wurde im Jahr 1994 von Prof. Dr. Monika Neuhäuser-Berthold initiiert, Leiterin der Arbeitsgruppe Ernährung des Menschen am Institut für Ernährungswissenschaft der JLU. Anlass hierfür waren die zunehmende Lebenserwartung und der wachsende Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung bei gleichzeitig unzureichender Datengrundlage für spezielle Empfehlungen zur Ernährung im fortgeschrittenen Alter.

Das Ziel der Studie ist die Erforschung der wechselseitigen Beziehungen zwischen den altersabhängigen Veränderungen der Körpermasse und des Energieumsatzes sowie den darauf Einfluss nehmenden Faktoren. Weitere Fragestellungen betreffen Veränderungen in der Muskelkraft, den Knochenstatus und das Osteoporose-Risiko sowie den Einfluss des Ernährungsverhaltens und der Nährstoffzufuhr auf ausgewählte Blutparameter.

So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem zeigen, dass der Energieumsatz im Alter nicht generell abnimmt, sondern mit zunehmender Anzahl chronischer Erkrankungen steigt. Dies führt zu unerwünschten Veränderungen und Verlusten der Körpermasse, sofern nicht durch adäquate Maßnahmen gegengesteuert wird. Die mit fortschreitendem Alter beobachteten Verluste an der fettfreien Körpermasse, bzw.
Muskelmasse gehen im jüngeren Seniorenalter zunächst mit einer Zunahme an Fettmasse einher, sodass sich die Körpermasse insgesamt nur wenig ändert.

Weitere Analysen zeigten, dass ein hoher Anteil an Körperfett mit niedrigeren Vitamin-D-Spiegeln im Blut einhergeht. Auch die Beobachtung, dass ältere Männer im Vergleich zu älteren Frauen niedrigere Vitamin-C-Plasmakonzentrationen aufweisen, konnte im Rahmen der GISELA Studie mit Unterschieden in der fettfreien Körpermasse erklärt werden.
Durch den im Allgemeinen geringeren Körperfettgehalt ergibt sich bei den Männern ein größeres Verteilungsvolumen für das wasserlösliche Vitamin C.

Hinsichtlich der Knochenstabilität erwies sich ebenfalls die Körperzusammensetzung als bedeutsam. Es konnte festgestellt werden, dass Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer mit einem größeren Anteil an fettfreier Körpermasse (und damit an Muskelmasse) stabilere Knochen hatten als solche mit einem hohen Körperfettgehalt. Der Erhalt der Muskelmasse im fortgeschrittenen Alter ist somit nicht nur in Bezug auf die Muskelkraft wichtig, sondern auch bedeutsam für den Ernährungs- und Gesundheitsstatus allgemein.

Diese und weitere bisherige Ergebnisse der GISELA-Studie wurden auf nationalen und internationalen Tagungen präsentiert und in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Sie waren zudem Gegenstand mehrerer Dissertationen. Nach Abschluss der Erhebungsphase ist die Arbeitsgruppe gegenwärtig mit den Analysen und Auswertungen der Verlaufsdaten beschäftigt. Von den weiteren Ergebnissen wird erwartet, dass sie Grundlagen für die Ermittlung von Referenzwerten für den Energie- und Nährstoffbedarf älterer Menschen dienen, die derzeit noch unbekannt sind.

Für die Teilnahme an der Studie konnten 587 gesundheitsbewusste und aktive Seniorinnen und Senioren aus Gießen und Umgebung gewonnen werden. Das Durchschnittsalter der Probandinnen und Probanden lag bei Studieneintritt bei 67 Jahren. Neben den Seniorinnen und Senioren kooperierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch mit Studierenden, die bei der Durchführung der Studie halfen, sowie mit Kolleginnen und Kollegen aus dem klinischen Bereich. Durch den langen Zeitraum mit engmaschigen Messwiederholungen, insbesondere zum Energieumsatz und biochemischen Markern des Ernährungsstatus, besitzt die GISELA-Studie national wie international ein Alleinstellungsmerkmal.

Zu den Untersuchungen kamen die Probandinnen und Probanden alle zwei Jahre jeweils frühmorgens nüchtern ins Institut für Ernährungswissenschaft. Im Anschluss an die Messungen und die Blutentnahme bestand bei einem Frühstück Gelegenheit zu Fragen, Gesprächen und dem Austausch zwischen Probandinnen und Probanden sowie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Über den langen Zeitraum von zwei Jahrzehnten hat sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Probandinnen und Probanden und den Mitarbeiterinnen des Instituts entwickelt.

„Die Studienteilnehmerinnen haben über viele Jahre ein bemerkenswertes Engagement bewiesen“, so Prof. Neuhäuser-Berthold. „Sie nahmen die Erfüllung der Studienbedingungen sehr ernst und haben so einen wertvollen Beitrag zur wissenschaftlichen Auswertung der Daten beigetragen.“ Mit Vorträgen, Posterpräsentationen zu Studienergebnissen – u.a. zur Lebensmittel- und Nährstoffzufuhr, zur Vitamin-D-Versorgung, zu Risiken von Nährstoffmängeln, Blutfetten und Blutdruck –, und einem Imbiss haben sich die Mitarbeiterinnen des Instituts für Ernährungswissenschaft daher nun in der Alten Universitätsbibliothek von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der GISELA-Studie verabschiedet und ihnen für ihre 20-jährige Mitwirkung an der Studie gedankt.

Quelle: Pressemitteilung Justus-Liebig-Universität Gießen, Caroline Link, 29.09.2016 13:06
Kontakt:
Prof. Dr. Monika Neuhäuser-Berthold
Institut für Ernährungswissenschaft
Goethestraße 55,35390 Gießen
Telefon: 0641 99-39066