Praktikanten sind keine Arbeitskräfte

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Praktikanten sind keine Arbeitskräfte

Beitrag von Presse » 10.10.2010, 07:38

Praktikanten sind keine Arbeitskräfte

Grundsätzlich kann ein Praktikum etwas sehr Sinnvolles sein. Es bietet jungen Menschen die Möglichkeit, in die Berufswelt hineinzuschnuppern und Erfahrungen zu sammeln, die im Klassenzimmer oder Hörsaal nicht vermittelt werden können. Auch für ältere Berufstätige kann ein Praktikum Sinn haben. Aber "Generation Praktikum" steht schon seit rund 20 Jahren für ein von vielen negativ empfundenes Gefühl, immer öfter schlecht oder gar nicht bezahlten Tätigkeiten ohne jede soziale Sicherung nachgehen zu müssen. Praktikanten sind für viele Betriebe - auch im kirchlichen und diakonischen Bereich - gern gesehene billige Arbeitskräfte, die man beliebig einstellen und unproblematisch wieder loswerden kann. Arbeitsgerichte sehen dies allerdings anders.

In einem Urteil aus dem Jahr 2008 (Az. 5 Sa 45/07) hat beispielsweise das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg entschieden, dass unzulässiger Lohnwucher gegeben sei, wenn in einem sechsmonatigen sogenannten Praktikantenverhältnis der Ausbildungszweck nicht im Vordergrund stände, also der Ausbildungszweck nicht deutlich die für den Betrieb erbrachten Leistungen überwiege. Praktikanten seien - anders als Arbeitnehmer - in aller Regel nur vorübergehend in einem Betrieb praktisch tätig, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen, ohne dass eine systematische Ausbildung stattfinde. Daraus hat das LAG den Schluss gezogen, dass bei einem Praktikum der Ausbildungszweck im Vordergrund stehe. Alleine aus diesem Grund sei auch die geringere Vergütung zulässig. Das LAG ging weiter davon aus, dass dem Praktikum ein Ausbildungskonzept zu Grunde zu liegen habe. Aus diesem müsse erkennbar sein, welche Qualifikationsdefizite auszugleichen seien.

Im entschiedenen Fall wurde Lohnwucher festgestellt, weil der Arbeitgeber unter Ausnutzung der Zwangslage und Unerfahrenheit des Arbeitnehmers Dienste erbringen ließ, deren Wert im auffälligen Missverhältnis zu der gezahlten Praktikantenvergütung stand. Die Zwangslage wurde angenommen, da der Arbeitnehmer das Praktikum nur eingegangen sei, da er hierdurch die Hoffnung auf den anschließenden Erhalt eines Ausbildungsplatzes hatte.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 27.07.2010 (3 AZR 317/08) einen sogenannten "Anlernvertrag" für einen anerkannten Ausbildungsberuf im Sinne des Berufsbildungsgesetzes für unzulässig erklärt. Danach ist es unzulässig, die Ausbildung in einem anderen Vertragsverhältnis als nach § 26 Berufsbildungsgesetz durchzuführen. Derartige Verträge seien wegen des Gesetzesverstoßes insgesamt nichtig und nach den Regeln des faktischen Arbeitsverhältnisses wie ein normales Arbeitsverhältnis zu behandeln. Zu zahlen sei in diesem Fall die "ortsübliche Vergütung".

Praktikantenverträge die darauf abzielen, die Betroffenen in den normalen Dienstablauf einzugliedern, sind danach unzulässig. In diesem Fall würde es sich um "ganz normale" Beschäftigte handeln, die im kirchlichen/diakonischen Bereich Anspruch auf Bezahlung nach BAT-KF bzw. AVR DW-EKD hätten.

Quelle: Pressemitteilung vom 10.10.2010
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