Grundsatz der Tarifeinheit -Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Grundsatz der Tarifeinheit -Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Beitrag von Presse » 23.06.2010, 11:11

Pressemitteilung Nr. 46/10 des Bundesarbeitsgerichts vom 23.06.2010:

Grundsatz der Tarifeinheit

Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich der vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 dargelegten Rechtsauffassung zur Tarifeinheit (vgl. Pressemitteilung Nr. 9/10) angeschlossen. Auch nach Auffassung des Zehnten Senats gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, für Beschäftigte kraft Koalitionsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar. Dies wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass für den Betrieb kraft Tarifbindung des Arbeitgebers (Verbandsmitgliedschaft oder eigener Abschluss des Tarifvertrags) mehr als ein Tarifvertrag Anwendung findet, wenn für den einzelnen Arbeitnehmer jeweils nur ein Tarifvertrag gilt (sog. Tarifpluralität). Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können.

Bundesarbeitsgericht, Beschlüsse vom 23. Juni 2010 - 10 AS 2/10 - und - 10 AS 3/10 -
Bundesarbeitsgericht, Beschlüsse vom 27. Januar 2010 - 4 AZR 537/08 (A) - und - 4 AZR 549/08 (A) -

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Erfolg für alle Arbeitnehmer in diesem Land

Beitrag von Presse » 23.06.2010, 11:13

Marburger Bund - Bundesverband
Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.


Pressemitteilung Nr. 67 vom 23. Juni 2010

„Erfolg für alle Arbeitnehmer in diesem Land“
Marburger Bund begrüßt Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Berlin - Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schreibt Tarifgeschichte: Es ist der Klage von im Marburger Bund organisierten Ärzten zu danken, dass das Gericht seine Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit ändern wird. Der in der Rechtsprechung noch bestehende, von der Wirklichkeit aber längst überholte Grundsatz der Tarifeinheit („Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“) wird ad acta gelegt. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich die Auffassung des Vierten Senats zu Eigen gemacht, dass die Verdrängung eines Tarifvertrages nach dem Prinzip der Tarifeinheit mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz nicht vereinbar ist. Damit ist die Rechtsauffassung des Marburger Bundes, der erstmals im Jahr 2006 eigenständige Tarifverträge für Ärzte an Universitätskliniken und kommunalen Krankenhäusern aushandelte, voll bestätigt worden.

„Die heutige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zunächst einmal ein großer persönlicher Erfolg unserer Mitglieder, die ihr Recht gegen alle Widerstände durchgesetzt haben. Es ist auch ein Erfolg für alle Arbeitnehmer in diesem Land, denen in Zukunft nicht mehr das Recht verwehrt werden kann, frei darüber zu entscheiden, welche Gewerkschaft für sie rechtsgültige Tarifverträge schließt. Niemand kann also dazu gezwungen werden, einen Tarifvertrag zu akzeptieren, der nicht von seiner eigenen Gewerkschaft stammt“, begrüßte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes, die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Das BAG mache klar, dass der Abschluss von arztspezifischen Tarifverträgen in besonderer Weise durch das Grundgesetz geschützt sei. „Die Botschaft des heutigen Tages ist eindeutig: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit darf durch Tarifkartelle welcher Art auch immer nicht ausgehebelt werden“, betonte Henke.

Scharf kritisierte der MB-Vorsitzende in diesem Zusammenhang die gemeinsamen Bestrebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die vom Bundesarbeitsgericht gesicherte Koalitionsfreiheit in verfassungswidriger Weise zu unterlaufen. „Wer die Menschen bevormunden will, wird scheitern. Ein Gesetz, das die verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsfreiheit zerstört, wird keinen Bestand haben“, sagte Henke.

„Wenn Arbeitgeberverbände kein Interesse an durchsetzungsstarken Gewerkschaften haben, ist das nicht weiter verwunderlich. Absolut unverständlich ist aber, dass ausgerechnet der Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam mit den Arbeitgebern für eine Schwächung von Arbeitnehmerinteressen eintritt. Den selbst ernannten Einheitsgewerkschaften muss schon ziemlich bange sein, wenn sie nach dem Gesetzgeber rufen, um unliebsame Konkurrenz an die Wand zu drücken“, sagte Henke. „An ihrer Malaise aber sind die großen Allerweltsgewerkschaften selbst schuld. Unter dem Banner vermeintlicher Solidarität haben sie über Jahre innerhalb ihrer Einheitstarife eine sozialpolitisch motivierte Umverteilung zu Lasten hochqualifizierter Berufe organisiert, um sich damit tarifpolitische Erfolge zu erleichtern. Die Berufsgewerkschaften wären nie so stark geworden, wenn die Einheitsgewerkschaften sich klüger verhalten hätten.“
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BUNDESARBEITSGERICHT KIPPT TARIFEINHEIT

Beitrag von Presse » 24.06.2010, 06:13

BUNDESARBEITSGERICHT KIPPT TARIFEINHEIT

Bislang galt, dass bei mehreren Tarifverträgen innerhalb eines Unternehmens
grundsätzlich der speziellere Tarifvertrag anwendbar war. Diesen Grundsatz haben der 10.
und 4. Senat des BAG nunmehr aufgegeben. "Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für
verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche
Tarifregelungen zur Anwendung kommen können", so der 10. Senat. Professor Volker Rieble,
Arbeitsrechts-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gibt eine erste
Einschätzung über die Entscheidung ab und benennt Folgen.

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Tarifeinheit gekippt - Segen oder Fluch ?

Beitrag von Herbert Kunst » 25.06.2010, 07:55

Tarifeinheit gekippt - Segen oder Fluch ?

Die Entscheidung des BAG scheint nachvollziehbar. Allerdings hat sie einmal verheerende Auswirkungen auf das Tarifdurcheinander in den Betrieben. Kleine Gewerkschaften, z.B. Lokführer, können jetzt weiterhin problemlos ein ganzes Unternehmen lahm liegen. Allerdings eröffnet die Entscheidung auch solchen Arbeitnehmergruppen eine Einflussnahme, die sich bisher kaum organisiert haben. Und da denke ich an die Pflege. In der Zukunft könnte also auch eine kleine Pflegegewerkschaft mit ihren Forderungen gezielter vorankommen. Segen oder Fluch, das bleibt offen! - Es darf nachgedacht werden.

Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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Tarifpluralität

Beitrag von Presse » 16.07.2010, 10:19

Marburger Bund - Bundesverband
Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.

Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF)
Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)
Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO)
Führungskräfteverband Chemie (VAA)
Vereinigung thingy (VC)

Gemeinsame Pressemitteilung Nr. 71 vom 16. Juli 2010

Berufs- und Spezialgewerkschaften verteidigen Tarifpluralität

Berlin - Die Berufs- und Spezialgewerkschaften Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Marburger Bund (MB), Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO), Führungskräfteverband Chemie (VAA) und Vereinigung thingy (VC) haben diese Woche bei einem gemeinsamen Treffen in Frankfurt die Arbeitsrechtsexperten Prof. Dr. Wolfgang Däubler und Prof. Dr. Volker Rieble mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens beauftragt. Anlass hierfür war der Entschließungsantrag der rheinland-pfälzischen Landesregierung vom 6. Juli im Bundesrat. Hierin stellte sich diese hinter die Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes und der Koalitionsfreiheit. Die beiden unabhängigen Gutachter sollen nun klären, inwieweit Vorschläge zur Veränderung der Koalitionsfreiheit und der Tarifpluralität mit dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind.

Die sechs Berufs- und Spezialgewerkschaften sehen in dem Entschließungsantrag, der an die zuständigen Bundesratsausschüsse verwiesen wurde, einen Angriff auf die gewerkschaftliche Vielfalt und in Deutschland. Gemeinsam wollen sie nun den weiteren Prozess mitgestalten und für die Tarifpluralität eintreten. Die Berufs- und Spezialgewerkschaften sehen sich dabei in einer Linie mit den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar und 23. Juni 2010. Das oberste Arbeitsgericht hatte sich hinter den Grundsatz der Tarifpluralität gestellt.
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Tarifpluralität liest sich gut

Beitrag von KPHNeuss » 16.07.2010, 10:38

Tarifpluralität liest sich gut. Es gilt aber auch zu bedenken, dass nunmehr kleine und kleinste Gewerkschaften zur Durchsetzung ihrer auf wenige Mitglieder bezogene Interessen, ganze Betriebszweige lahm legen können. Das ist nicht unproblematisch und gehört m.E. sorgsam bedacht. Vielleicht ist eine Tarifvielfalt im Sinne der jetzigen Diskussionen ein Irrweg? Oder müssen wir den egoistischen Leitmotiven einiger Leute tribut zollen?
Ärztestreiks gingen in der Vergangenheit sogar zu Lasten der Pflege. Zahlreiche Stellen in der Pflege wurden abgebaut, um die Vergütungen der Ärzte finanzieren zu können. Soll das so weiter gehen? - Verschärfung des Pflegenotstandes ?

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Für eine uneingeschränkt gute Pflege müssen wir alle eintreten - die Verfassung enthält die entscheidenden Wertegrundsätze: Die Menschenwürde ist unantastbar!

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