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Nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen Sexualstraftäter

Verfasst: 13.01.2010, 14:16
von Presse
Urteil des 1. Strafsenats des BGH vom 13.1.2010 - 1 StR 372/09 -
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... kument.pdf

Pressemitteilung des BGH vom 13.01.2010

Nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen Sexualstraftäter
scheitert am Fehlen neuer Tatsachen


Gegenstand des Urteils des Bundesgerichtshofs sind die Voraussetzungen der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB gegen einen im Jahre 1995 zu einer 14-jährigen Freiheitsstrafe verurteilten, heute 58-jährigen Sexualstraftäter.

Das Landgericht München II hatte mit Urteil vom 17. Februar 2009 den Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, gegen den Verurteilten nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat der Bundesgerichtshof verworfen. Die Entscheidung des Landgerichts erwies sich als frei von Rechtsfehlern, sie entspricht der Rechtslage.

Der Verurteilung aus dem Jahre 1995 – sog. Anlassverurteilung aufgrund derer die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragte – lag ein schweres Sexualverbrechen zugrunde. Der Verurteilte missbrauchte während einer Nacht im April 1994 zwei vierzehn und fünfzehn Jahre alte Anhalterinnen in seinem speziell hierfür präpariertem VW-Bus. Die Tat hatte der Verurteilte zuvor genau geplant. Über mehrere Stunden hinweg vergewaltigte er die Opfer unter Beifügung von besonders entwürdigenden und schmerzhaften Verletzungen. Er versetze sie unter Bedrohung mit einer Pistole in Todesangst, verklebte zudem deren Mund und fesselte sie.

Bei der Anlassverurteilung im Jahre 1995 war die Anordnung der (primären) Sicherungsverwahrung gemäß 66 StGB aus Rechtsgründen nicht möglich. Die vom Gesetz nach § 66 StGB geforderten Vorverurteilungen – sog. formelle Voraussetzungen – lagen nicht vor.

Die Strafkammer, die 1995 zu entscheiden hatte, sah zudem auch die materiellen Voraussetzungen für die primäre Sicherungsverwahrung nicht als gegeben an. Entsprechend der Empfehlung des damals gehörten Sachverständigen verneinte sie einen Hang (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) des Verurteilten zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, wodurch er für die Allgemeinheit hätte gefährlich werden können.

Die Strafkammer, die nunmehr über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB zu entscheiden hatte, stellte – wiederum sachverständig beraten – freilich nunmehr doch einen Hang fest. Sie kam zu dem Ergebnis, dass vom Verurteilten sehr wohl erhebliche Sexualstraftaten zu erwarten sind. Deshalb sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Diese – von der Anlassverurteilung abweichende – Beurteilung des Hanges und der Gefährlichkeit beruht freilich allein auf einer Neubewertung der bereits damals bekannten Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten.

Rechtsgrundlage für die nachträgliche Sicherungsverwahrung konnte hier nur Absatz 2 des § 66b StGB sein. Liegt ein Hang vor, so kann die Maßregel unter anderem dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte bei der Anlassverurteilung wegen eines Sexualverbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Diese (formelle) Voraussetzung war hier gegeben. Das Gesetz stellt allerdings noch eine zusätzliche Voraussetzung auf, die hier fehlt: Es müssen vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen – das müssen neue Tatsachen sein – für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar werden.

Tatsachen sind dann nicht "neu", wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder – wie hier – sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht "neu", wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Das ist hier der Fall. Deshalb muss die auf gleicher Tatsachengrundlage bloß veränderte Bewertung von Hang und Gefährlichkeit als neue Tatsache ausscheiden. Andere "neu" bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Damit waren die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht gegeben.

Urteil vom 13. Januar 2010 – 1 StR 372/09

Weitere Informationen unter
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... er=0007/10

NACHTRÄGLICHE SICHERUNGSVERWAHRUNG FüR SEXUALTÄTER

Verfasst: 14.01.2010, 14:59
von Presse
BGH: NACHTRÄGLICHE SICHERUNGSVERWAHRUNG FüR SEXUALTÄTER MANGELS NEUER TATSACHEN
ABGELEHNT


Mangels neuer Tatsachen hat der BGH die nachträgliche Sicherungsverwahrung für einen - nach
wie vor als gefährlich geltenden - Sexualstraftäter abgelehnt. An seinem Wohnort will man
ihn nun weiter rund um die Uhr überwachen.

Nachricht Online lesen:
http://www.haufe.de/recht/newsDetails?n ... d=00954390

Sicherungsverwahrung & die Forensische Psychiatrie

Verfasst: 17.06.2011, 11:59
von Presse
Presse-Information vom 17.06.2011
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)


DGPPN: BVerfG-Urteil zur Sicherungsverwahrung hat Auswirkungen für Forensische Psychiatrie

Von der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Sicherungsverwahrung ist auch die Forensische Psychiatrie und Psychotherapie erheblich betroffen. In einer Stellungnahme fordert die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) die Einrichtung einer Expertenkommission, um ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten.

Die DGPPN begrüßt grundsätzlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung. In seinem Urteil vom 4. Mai 2011 heißt es, dass die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung die Rechte der Untergebrachten verletzen. Eine Sicherungsverwahrung darf nur noch unter ganz bestimmten Voraussetzungen verlängert bzw. nachträglich angeordnet werden, beispielsweise bei Vorliegen einer psychischen Störung im Sinne von §1 Absatz 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG). Zudem müssten für die Betroffenen spezielle Therapieangebote vorgehalten werden. Der Gesetzgeber hat nun zwei Jahre Zeit, die Sicherungsverwahrung neu zu regeln.

Nach Ansicht der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft zwingt dieses Urteil die Politik dazu, aus den in den letzten Jahren vorgenommenen und selbst für Experten unüberschaubaren Änderungen und Verschärfungen der Sicherungsverwahrung ein einheitliches Konzept zu entwickeln, welches der Balance zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Freiheitsrechten nach rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht wird.

Von dieser Neukonzeption sind die Psychiatrie und Psychotherapie und insbesondere die Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in hohem Maße betroffen, da nicht nur Begutachtungen als Grundlage der gerichtlichen Entscheidungen weiterhin erforderlich sein werden, sondern auch weil der Therapieanspruch der in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts besonders betont wird. Außerdem formuliert das Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) den Begriff der "psychischen Störung", den nun auch das Bundesverfassungsgericht aufgreift. Dieser Begriff ist im Rechtssinne bislang nicht definiert. Psychiatrie und insbesondere die Forensische Psychiatrie und Psychotherapie müssen an der Interpretation und Ausgestaltung dieses Begriffs entscheidend eingebunden werden.

Die DGPPN fordert daher, eine Expertenkommission aus Juristen, Psychiatern, Wissenschaftlern und Vollzugsverantwortlichen aus den von den Maßregeln betroffenen Disziplinen, sowie aus Opferschutzverbänden, Politikern und Haushaltsexperten einzurichten, um ein neues Konzept der Sicherungsverwahrung zu erarbeiten. Derartige Kommissionen haben in anderen europäischen Ländern wesentliche Strukturverbesserungen von Maßregeln in die Wege leiten können.

Die vollständige Stellungnahme finden Sie auch unter: http://www.dgppn.de/publikationen/stell ... schei.html

Kontakt:
Prof. Dr. med. Peter Falkai
Präsident DGPPN
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Göttingen
von-Siebold-Str. 5
37075 Göttingen
Telefon: 0551-396601
Fax: 0551-3922798
E-Mail: pfalkai[at]gwdg.de

Download:
pm-2011-06-15-sicherungsverwahrung.pdf [27 KB]
http://www.dgppn.de/fileadmin/user_uplo ... ahrung.pdf
Kontakt

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
Reinhardtstraße 14
D-10117 Berlin
http://www.dgppn.de

Sicherungs­verwahrung

Verfasst: 28.06.2011, 17:58
von Presse
Erfolgreiche Verfassungs­beschwerde gegen Sicherungs­verwahrung

Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht hat seine strengen Anforderungen an die Verhängung einer Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter in einem heute veröffentlichten Beschluss um eine weitere Fallgruppe erweitert. .... mehr
http://www.aerzteblatt.de/v4/news/lette ... m&id=41031