Kein öffentlicher Widerruf nach fälschlicher Abmahnung
1. Es besteht kein Widerrufsanspruch des Arbeitnehmers, wenn in Abmahnungen und Kündigungen, die später rechtskräftig für unwirksam erklärt wurden, die Rechtsbehauptung arbeitsvertragswidrigen Verhaltens aufgestellt worden war. Ein entsprechender Anspruch kann bei offensichtlich ehrkränkenden Äußerungen gegeben sein.
2. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts im Bereich der Sozialsphäre reicht nicht so weit, in der (betrieblichen) Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie man sich selbst sieht oder von anderen gern gesehen werden würde (BVerfGE 99, 194).
3. Die gerichtliche Feststellung der Rechtsunwirksamkeit von Abmahnungen und Kündigungen begründet für sich allein keine Informationsverpflichtung des Arbeitgebers an alle (Konzern-)Mitarbeiter.
Aus den Gründen:
Sowohl für den begehrten modifizierten Widerruf als auch für die darauf aufbauende Bekanntgabe ist Voraussetzung für den geltend gemachten Klageanspruch, dass der Kläger durch die rechtskräftig festgestellten unwirksam erklärten Abmahnungen und Kündigungen von der Beklagten rechtswidrig in seinem beruflichen Fortkommen oder seinem Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist und ihm deswegen ein schuldrechtlicher (§ 611 BGB i. V. m. § 242 BGB) oder ein quasinegatorischer Anspruch aus § 1004 BGB analog zusteht (vgl. BAG v. 15.04.1999, 7 AZR 716/97 - zit. n. Juris).
Dies ist weder durch die bloße Tatsache der von der Beklagten erklärten Abmahnungen und Kündigungen noch nach Form und Inhalt der Abmahnungen und Kündigungen entsprechend des klägerischen Sachvorbringens gegeben.
Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, abgeleitet aus der verfassungskonformen Anwendung und Auslegung der Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 188), genießt als sonstiges Recht den Schutz der absoluten Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB. Geschützt ist das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität sowie Entfaltung und Entwicklung seiner individuellen Persönlichkeit (vgl. BGHZ 13, 334) gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr (vgl. BGHZ 24, 76; 27, 284). Die vom Kläger geltend gemachte Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruchs be-trifft die Sozialsphäre. Der Persönlichkeitsschutz ist hier jedoch weniger weitgehend wie im Bereich der Privat- und schließlich der Intimsphäre (vgl. BGH NJW 2005, 592 und Palandt, BGB, Nr. 69. Aufl., § 823 Rn. 94 u. 96 m. w. N.). Hierbei bedarf es wegen des offenen Tatbestands bei der Beeinträchtigung einer gewissen Erheblichkeit und bereits hier einer Interessenabwägung (vgl. BGH NJW 2006, 830).
Hinzu kommen muss die Widerrechtlichkeit des Eingriffs als Voraussetzung für jeden Abwehranspruch. Aufgrund des offenen Tatbestandes gilt hier nicht der Grundsatz, dass die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit indiziert (vgl. BGHZ 24, 72; 36, 77; 45, 296 ff).
Grundsätzlich fehlt es an der Rechtswidrigkeit, wenn ein gesetzlich geregeltes Verfahren der Rechtspflege betrieben wird, auch wenn sich das Begehren als ungerechtfertigt erweist (vgl. Palandt, aaO, § 823 Rn. 37 m. w. N.). Entsprechendes gilt auch für die Ausübung arbeitsrechtlicher Gestaltungsrechte. Die Rechtswidrigkeitsgrenze ist jedoch bei bewusst unwahren Behauptungen und diffamierender Schmähkritik überschritten.
Dies ist jedoch vorliegend bei den vom Kläger beanstandeten Abmahnungen und streitgegenständlichen Kündigungserklärungen nicht der Fall gewesen.
Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) München vom 22.09.2010 - 11 Sa 520/09
Quelle: Pressemitteilung vom 27.03.2011
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