Keine Zeit für Kaffeekränzchen - Mehr Zeit fürs Miteinander

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Keine Zeit für Kaffeekränzchen - Mehr Zeit fürs Miteinander

Beitrag von Presse » 04.05.2009, 09:56

Keine Zeit für Kaffeekränzchen

Zivanka Milutinovic begann 1971 als Putzfrau in einem deutschen Krankenhaus. Mit Talent und Ehrgeiz arbeitete sich die Serbin bis zur Abteilungsleiterin hoch. Nebenbei engagiert sie sich als Gewerkschafterin, Personalrätin und im Ausländerbeirat ihrer schwäbischen Heimatstadt. Sie liebt fremde Sprachen und rät jungen Leuten: Die Erfahrung, unbehütet ins Ausland zu gehen, erweitert den Horizont.

Zivanka MilutinovicZivankas Weg nach Deutschland beginnt mit einem Zufall. In der elften Klasse verlässt sie das Gymnasium in Serbien, um sich nach dem Tod ihrer Mutter um die beiden Geschwister zu kümmern. "Fernweh hatte ich damals oft", erinnert sie sich. 1971 will sie eigentlich einen Sprachkurs in England machen, erfährt dann aber von einer Freundin, dass deren Nichte im Kreiskrankenhaus Geislingen arbeitet. "Ich schrieb ihr einen Brief und fragte, ob ich dort auch als ungelernte Kraft arbeiten könnte. Das war ein Jux!"

14 Tage später sitzt Zivanka mit einem Arbeitsvertrag als Putzkraft im Zug nach Schwaben. Dann die nächste Überraschung: Der Personalchef der Geislinger Klinik holt sie persönlich mit seinem Auto vom Bahnhof ab. "Ich konnte kein Deutsch und habe mich unsäglich dafür geschämt", erinnert sich Zivanka. "Aber ich musste ausbaden, was ich mir eingebrockt hatte."

Schnelles Lernen zahlt sich aus

Am nächsten Tag beginnt die Arbeit. "Ich habe den Kolleginnen und Patienten zugehört und mir alles, was ich so gehört, habe, aufgeschrieben." Abends schlägt Zivanka die unbekannten Begriffe in Deutschbüchern nach. Die junge Frau ist ehrgeizig und lernt schnell. Das bemerken auch die Krankenschwestern in der Klinik. Nach drei Monaten bietet ihr die Oberschwester an, als Schwesternhelferin zu arbeiten. "Ich habe sie lächeln gesehen und gemerkt, dass sie etwas Positives gesagt hat. Ich habe zurückgelächelt, aber verstanden habe ich kein Wort", gesteht Zivanka.

Die Oberschwester ruft eine kroatische Krankenschwester als Dolmetscherin hinzu, und jetzt versteht Zivanka: "Als sie mir es dann noch mal erklärt hat, war das eine große Ehre für mich." Ein Jahr später bewirbt sich die junge Serbin um eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in Göppingen. Die dafür notwendige Sprachprüfung besteht sie auf Anhieb. In der Ausbildung zeigt sie erneut Talent. Die Schulleiterin empfiehlt ihr, zwei Jahre länger zu lernen und Krankenschwester zu werden. "Ich war nicht sicher, ob ich das schaffe. Aber sie hat mir so viel Mut gemacht, dass ich mich für die andere Ausbildung entschieden habe", erzählt Zivanka.

Mit Beginn ihrer Ausbildung im Krankenhaus Göppingen unterstützt Zivanka als ehrenamtliche Dolmetscherin die ärztliche Aufklärung für Patienten. Auch nach dem Abschluss als Krankenschwester will sie in ihrem Beruf weiter vorwärts kommen und scheut dafür keine Mühe. 1979 absolviert sie eine Fortbildung zur Stationsschwester. Ein Jahr später folgt eine zweijährige Weiterbildung zur Intensivschwester, 1983 die Weiterbildung zur Pflegedienstleiterin. Für ihren Fleiß zahlt Zivanka auch Tribut: "Ich war immer im Kontakt mit Deutschen und auch mit Serben, nur Zeit für ein Kaffeekränzchen hatte ich nie. Das Lernen war mir wichtiger."

Die Schülerin wird zur Lehrerin

Ab 1984 lehrt Zivanka selbst für drei Jahre als Unterrichtsschwester an der Schule, wo sie ausgebildet wurde. Sie hat Freude daran, ihr Wissen weiterzugeben. "Aber ich wusste, ich brauche auch den Klinikalltag", sagt die heute 58-Jährige. 1987 kehrt sie zurück ins Krankenhaus und übernimmt die Leitung einer Abteilung. Seit 1996 leitet sie dort zusätzlich das ambulante Dialysezentrum.

Ab Mitte der 1980er Jahre engagiert sich Zivanka zusätzlich im Kreisvorstand der Gewerkschaft ÖTV. Viele ihrer Landsleute in der Göppinger Klinik bitten sie, ihre Interessen zu vertreten. Von 1989 bis 2002 arbeitet sie als Vertreterin für Ausländer im Personalrat des Krankenhauses mit. Seit 1999 ist sie außerdem Mitglied im Ausländerausschuss und seit 2004 im Forum für Integration der Stadt Göppingen.

In einer religiös-kulturellen Arbeitsgruppe des Forums setzt sie sich für den Erhalt der serbisch-orthodoxen Kirche der Stadt ein. "Menschen müssen ihre kulturellen Wurzeln und ihre eigene Geschichte kennen. So entwickeln sie das nötige Selbstvertrauen, um sich in eine fremde Gesellschaft zu integrieren", ist Zivanka überzeugt.

Engagement für Kriegsopfer

Während des Krieges in ihrem Heimatland organisiert die Serbin Sponsoren für Medikamente und medizinische Geräte für die betroffene Bevölkerung. Sie übernimmt außerdem die Patenschaft für eine 18-jährige Diabetikerin, deren Eltern gestorben waren und die bei einem Bombenanschlag ein Bein verloren hat.

Zivanka ist es wichtig zu zeigen, "dass Integration täglich passiert." 2003 unterstützt sie eine Ausstellung im Göppinger Rathaus über die ersten Gastarbeiter in Deutschland. Sie selbst spricht schon lange nicht nur perfektes Hochdeutsch, sondern auch Schwäbisch. "Nach 37 Jahren in Schwaben lernt man das. Bei vielen älteren Patienten nützt mir Hochdeutsch kaum, die schwätzen alle Schwäbisch", erzählt sie lachend.

Mehr Zeit fürs Miteinander

Zivanka hat ihre Auswanderung nie bereut. "Ich kann jedem empfehlen, für mindestens ein Jahr im Ausland zu leben, um zu erfahren, wie es ist, unbehütet zu sein. Das erweitert den Horizont", ist sie überzeugt. Doch die aktuelle Situation in Deutschland bereitet ihr Sorgen: "Ich habe ein ungutes Gefühl. Mehr Deutsche als früher beschweren sich über Ausländer. Als ich nach Deutschland kam, war alles herzlicher, es gab ein besseres Miteinander. Heute wäre es zum Beispiel unvorstellbar, dass ein Personalchef ein Putzmädchen vom Bahnhof abholt."

Auch auf ihren Beruf bezogen sorgt sich Zivanka um die Entwicklung. "Ich stolpere immer wieder darüber, dass der Mensch anscheinend immer weniger wert ist. Vor allem in der Pflege wird das schiefgehen. Wir brauchen Zeit, wenn wir mit Menschen arbeiten!", fordert sie energisch.

Wäre Zivanka jünger, würde sie gern noch einmal studieren. Kulturen kennenzulernen und zum gegenseitigen Verständnis beizutragen, liegt ihr am Herzen. Sprachkurse in Englisch und Französisch hat sie schon besucht. "Ich mag Sprachen und werde sie im Ruhestand auch weiter lernen", hat sie sich vorgenommen. Nur in Hochdeutsch und Schwäbisch bleibt Zivanka Autodidaktin.

Quelle: Pressemitteilung vom 4.5.2009
http://www.bundesregierung.de/nn_1264/C ... novic.html

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