Pressemitteilung - Bundesverband unabhängiger Pflegesachverständiger und PflegeberaterInnen e.V.:
Von der Professionalisierung der Pflege und den Schildbürgern in Deutschland - EinHerbstmärchen nicht nur für Pflegende
Mit der Pflegereform sollten die Expertenstandards als Säule der Qualitätssicherung in der Pflegeversicherung verankert werden. Die nun vorliegende Verfahrensordnung zum § 113a SGB XI führt dieses Anliegen ad absurdum. Der BvPP e.V. fordert das Bundesministerium für Gesundheit auf, die vorliegende Verfahrensordnung nicht zu genehmigen und zur Korrektur an die Vertragspartner zurück zu geben.
Was ist passiert? Mit dem PfWG hat der Gesetzgeber die Entwicklung und Aktualisierung der Expertenstandards im Gesetz verankert und in die Hände der Vertragspartner gelegt. Damit sollte ein in der Gesetzesbegründung als „wesentlich“ und „wichtig“ beschriebenes Instrument zur Qualitätsentwicklung und zur Konkretisierung des allgemein anerkannten Standes der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse in den rechtlichen Rahmen der Pflegeversicherung eingebunden werden. Leistungsanbieter und Kostenträger würden zukünftig gemeinsam die Expertenstandards beschließen und als zwangsläufige Folge in den Vergütungsverhandlungen berücksichtigen müssen. Schließlich ist eine langjährige und allseits bekannte Forderung der Leistungsanbieter, dass Qualität auch bezahlt werden muss. Zur Vorgehensweise hat der Gesetzgeber eine Verfahrensordnung vorgeschrieben, die nun von den Vertragspartnern verabschiedet und dem BMG zur Genehmigung vorgelegt wurde. Die Verfahrensordnung folgt dem bekannten vom DNQP entwickelten Ablauf außer in einem kleinen Punkt: mit der probeweisen Implementierung ist eine Kosteneinschätzung und Wirkungsanalyse vorgesehen. Erst nach Auswertung dieser Kosten- und Wirkungsanalyse wird ein Beschluss über die Einführung des entwickelten Expertenstandards gefasst. Von diesem Verfahren sind auch alle bisher vom DNQP entwickelten und in den Einrichtungen eingeführten Expertenstandards betroffen. Im Klartext heißt das, dass die vorliegenden Expertenstandards in den Augen der Leistungserbringer und Kostenträger aktuell keinerlei Verbindlichkeit besitzen. Sie werden erst verbindlich, wenn Sie erneut durch das Verfahren gelaufen und von den Vertragspartnern einvernehmlich beschlossen wurden.
Der normal denkende Mensch reibt sich verwundert die Augen. Dachte man doch, die Expertenstandards bilden den aktuellen Stand der pflegerischen Erkenntnisse ab und gibt es nicht in unzähligen Normen der Pflegeversicherung verankert, die Verpflichtung nach genau diesen zu arbeiten? Wurden nicht in unzähligen Fortbildungen und für viel Geld alle Pflegekräfte mit genau diesen Erkenntnissen vertraut gemacht und unter Anwendung aller arbeitsrechtlichen Instrumente dazu bewegt, diese Erkenntnisse umzusetzen?
Kann der Beschluss der Vertragspartner mehr als Formsache sein? Ja. Nach der vorliegenden Verfahrensordnung kann er das. Leistungsanbieter werden selbstverständlich Wert darauf legen, die Kosten einer Einführung in den Vordergrund zu stellen. Kostenträger (insbesondere die Sozialhilfeträger) werden nur Maßnahmen finanzieren wollen, deren Wirkungen nachweislich erwiesen und höher sind als die Kosten. Doch wie kann die Wirkung zuverlässig gemessen werden? Welche Instrumente gibt es in der Pflege, die über den Projektstatus hinaus gehen und nachweislich die Wirkung einer pflegerischen Handlung auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Betroffenen messen? Wie viele zuverlässige Forschungsergebnisse gibt es aktuell in der jungen Pflegewissenschaft zu Ursache-Wirkungszusammenhängen? Die Arbeiten des DNQP zeigen uns in jedem Expertenstandard auf, dass es in weiten Teilen keine oder unzureichende Forschungsergebnisse gibt, die Wirkung bestimmter Maßnahmen nicht eindeutig belegt ist. Mangels einer „pflegerischen Pharmaindustrie“ stellt sich die Frage, wer und in welchem zeitlichen Rahmen würde denn aussagekräftige und umfassende Forschungen zu pflegerischen Handlungen finanzieren wollen und können? Und wonach pflegt der Praktiker bis dahin?
Bezeichnend ist, dass die Menschen, die von dem Thema etwas verstehen, also die Pflege und ihre Vertreter, in diesem Prozess keine Rolle spielen. Berufsverbände von Pflege haben lediglich das Recht im Rahmen einer Anhörung Stellung zu nehmen („sind zu beteiligen“). Die Entscheidung über den für Pflegeeinrichtungen - und damit für die dort beschäftigten Pflegenden - verbindlichen „aktuellen Stand der pflegerischen Erkenntnisse“ treffen Juristen, Verwaltungsfachangestellte, Beamte und sonstige Berufsgruppen nach rein ökonomischen Kosten-Nutzenabwägungen, die sich mangels zuverlässiger Instrumente zur Messung und mangelhafter Datenlage auf das Minimum beschränken werden. Bradenskala und Anti-Dekubitusmatratze waren gestern, Eis und Fön sind die Zukunft.
Der BvPP e.V. fordert das Bundesministerium für Gesundheit auf, die Verfahrensordnung nicht zu genehmigen und den Schritt „Kosten-Wirkungsanalyse“ als Beschlussgrundlage zu streichen.
1. Sie stellt eine unvergleichliche Verhöhnung aller Pflegefachkräfte dar, die sich trotz Personalkürzungen für eine fachgerechte Versorgung kranker und alter Menschen in der Praxis engagiert haben.
2. Sie gefährdet die Sicherheit von Millionen kranken und pflegebedürftigen Menschen in Deutschland.
3. Sie führt die Intentionen des Gesetzgebers mit der Aufnahme der Expertenstandards in die Pflegeversicherung ad absurdum
Die Bewertung pflegerischer Maßnahmen im Sinne einer Kosten- und Wirkungsbetrachtung ist grundsätzlich sinnvoll, kann sie doch den Beitrag der Pflege transparent machen. Sie setzt jedoch voraus,
· dass eine ausreichende Datenlage und wissenschaftlich evaluierte Messinstrumente vorliegen
· dass die Bewertung von unabhängigen Fachexperten vorgenommen wird und die fachlichen Standards transparent kommuniziert werden
Analog zur Medizin muss auch in der Pflege die Forschung und Definition von Leitlinien oder Standards den Vertretern des Berufsstandes vorbehalten bleiben. Welches fachliche Niveau letztlich dann zwischen den Vertragspartnern vereinbart wird, muss ein zweiter Schritt sein. Die Verbraucher und auch die professionell Pflegenden müssen jederzeit klar erkennen können, was fachlich richtig und möglich wäre und was als Regelversorgung vereinbart wurde. Alles andere wäre eine Irreführung des Verbrauchers und eine Verhöhnung des pflegerischen Sachverstandes.
Zum aktuellen Zeitpunkt liegen keine ausreichend evaluierten Instrumente vor, die Entscheidungen auf der Basis einer Kosten-Wirkungsanalyse ermöglichen. Der BvPP e.V. fordert das Bundesministerium für Gesundheit auf, die Entwicklung geeigneter Messinstrumente, die allgemeinen wissenschaftlichen Standards Stand halten, durch finanzielle Förderung zu forcieren.
Quelle: Pressemitteilung vom 20.10.2008
Bundesverband unabhängiger Pflegesachverständiger und PflegeberaterInnen e.V.
Pressestelle: Heike Jurgschat-Geer
Mathildenstr. 68
41239 Mönchengladbach
http://www.bvpp.org/ez/index.php/bvpp/c ... 102008.pdf
Expertenstandards als Säule der Qualitätssicherung ?
Moderator: WernerSchell