ALS-Patient Hans-Jürgen Leonhard will nicht im Heim sterben, sondern Zuhause - Behörden hindern ihn daran!
Bericht vom 12.12.2007:
Nicht im Heim sterben
Hamburg (kobinet) Morgen verhandelt das Hamburger Sozialgericht über die Klage des an ALS erkrankten (ALS = Amyotrophe Lateralsklerose) Hans-Jürgen Leonhard, der nicht im Heim sterben will.
Bei dem ausstehenden Prozess handelt es sich um einen Präzedenzfall, bei dem es um die Frage geht, ab wann die Pflege in einer stationären Einrichtung zumutbar ist. Die ambulante Versorgung wird unterdessen wegen der Höhe der Kosten abgelehnt. Leonhard ist wegen seiner Erkrankung völlig bewegungslos und auf Beatmung angewiesen. Er kann auch nicht mehr sprechen. Die meiste Zeit des Tages liegt er alleine in seinem winzigen Zimmer, ohne Anregungen und ohne die Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen.
Privatdozent Dr. Thomas Meyer leitet die ALS-Ambulanz der Berliner Charitè. Er war Arzt des verstorbenen Malers Jörg Immendorf. Meyer hat Hans-Jürgen Leonhard gründlich untersucht. Er kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass aufgrund der Versorgung des Klägers im Heim die Verkürzung seiner Lebensspanne gegenüber einer ambulanten Versorgung nicht nur theoretisch möglich ist. "Die Versorgung des Klägers in einer stationären Pflegeeinrichtungen erscheint aufgrund des Schweregrades der ALS, der vollständigen Beatmungspflichtigkeit, des kompletten Autonomieverlustes und der eingeschränkten Steuerungsoptionen elektronischer Kommunikationssysteme nicht zumutbar".
Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein vertritt Leonhard im Prozess. Er resümiert den bisherigen Verlauf des Rechtsstreites: "In diesem Verfahren zeigt sich die soziale Wirklichkeit des Lebens von Menschen mit schwersten Behinderungen und am Lebensende in der Bundesrepublik. Es gibt Gott sei Dank viele Menschen mit ALS und ähnlich schweren Behinderungen, die unter sehr viel bessere Bedingungen versorgt und gepflegt werden und bei denen die Kostenträger den Anspruch auf eine menschenwürdige Versorgung besser entsprechen. Es ist aber bestürzend, dass ein Mensch wie Hans-Jürgen Leonhard überhaupt zwei Jahre prozessieren muss, um das Recht zu erhalten, soweit das noch geht selbstbestimmt den eigenen Räumlichkeiten dann verbleibende Lebensspanne leben und dann auch sterben zu können".
Sogar das Gutachten von Meyer musste Leonhard selbst bezahlen, da das Gericht wegen "mangelnder Aussicht auf Erfolg" keine Prozesskostenhilfe gewährte. Erst eine Spendensammlung und die Unterstützung der Deutschen Hospizstiftung machten das Gutachten und den Prozess möglich. elba
Fundstelle: http://www.kobinet-nachrichten.org/cipp ... et,g_a_s_t
Bericht vom 13.12.2007:
Lebenslänglich für Hans-Jürgen Leonhard
Hamburg (kobinet) Die Kammer 50 des Sozialgerichts Hamburg hat heute entschieden, dass es dem schwerbehinderten Kläger Hans-Jürgen Leonhard zuzumuten ist, gegen seinen Willen in einem "Heim" gepflegt zu werden (siehe auch kobinet-Meldung vom 12. Dezember). In einem Gutachten wurde zuvor festgestellt, dass die Pflege in einer stationären Einrichtung möglicherweise lebensverkürzend für Leonhard ist. Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein hält diese Entscheidung für einen schweren Verstoß gegen die Grundrechte schwer pflegebedürftiger Menschen.
Leonhard lebt mit einer Amyotropher Lateralsklerose (ALS) in einem besonders späten Stadium. Er will ambulant versorgt werden, weil nur so, wie auch der Gutachter bestätigt hat, eine angemessene Qualität der Versorgung und eine ausreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben trotz der Krankheit sicherzustellen ist.
Wie sein Anwalt Dr. Tolmein mitteilt, habe das Gericht zwar anerkannt, dass "die konkreten Umstände der Pflege für Herrn Leonhard sehr belastend sein mögen. Es würdigte auch, dass er unter schweren Depressionen leidet, war aber der Auffassung, dass gegen die Depressionen Medikamente helfen und die Umstände der Pflege im Heim durch Verlegung in ein anderes Heim möglicherweise verbessert werden könnten".
Nach Meinung des Gerichtes könne eine Unzumutbarkeit der Versorgung in einer stationären Einrichtung erst konstatiert werden, wenn Hans-Jürgen Leonhard durch die Pflege in konkreter Lebensgefahr schwebte. Damit habe sich das Gericht auch gegen das medizinische Gutachten gestellt, dass eine Unzumutbarkeit der Versorgung in einer stationären Einrichtung aufgrund des schweren Krankheitsbildes feststellte.
Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte, die Leonhard vertritt, kritisierte die Entscheidung des Sozialgerichts scharf: "Der vom Gericht für die Prüfung der Zumutbarkeit gewählte Maßstab ist unvertretbar hoch. Wenn künftig pflegerische Versorgung gegen den Willen eines Betroffenen in einer stationären Einrichtung nur noch dann unzumutbar ist, wenn konkrete Lebensgefahr droht, ist das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit schweren Behinderungen nicht mehr viel wert."
Tolmein berichtet, er habe in der Verhandlung auf die UN-Menschenrechtskonvention für Behinderte verwiesen, die Deutschland vor wenigen Monaten unter großem Beifall unterzeichnet hat. Dort heißt es in Art. 19: "Die Unterzeichnerstaaten erkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen an, in der Gemeinschaft zu leben wie andere, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere und sie ergreifen effektive und angemessene Maßnahmen um Mensch mit Behinderungen in vollem Umfang zu ermöglichen dieses Recht wahrzunehmen. Dazu gehört auch, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, ihren Wohnort und wo und mit wem sie leben wollen auf gleicher Basis wie andere zu wählen und dass sie nicht verpflichtet sind in einem besonderen Lebensumfeld zu leben". Auch angesichts der Debatte um ein menschenwürdiges Sterben erweist sich dieses Urteil aus Sicht der Kanzlei Menschen und Rechte als fatales Signal, das Menschen entmutigt, die einen würdigen und selbst bestimmten letzten Lebensabschnitt leben wollen.
Leonhard, dem möglicherweise nur noch eine kurze Lebensspanne verbleibt, beabsichtigt gegen dieses Urteil in die Berufung zu gehen. elba
Fundstelle: http://www.kobinet-nachrichten.org/cipp ... et,g_a_s_t
Bericht vom 14.12.2007:
Ein schwarzer Tag für Heimbewohner
Hollenbach (kobinet) Der gestrige 13. Dezember sei ein schwarzer Tag für pflegebedürftige "Heim"bewohner gewesen, die aus "Heimen" ausziehen wollten, meint Elke Bartz, Vorsitzende des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA e.V.). Da habe das Hamburger Sozialgericht dem an einer Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankten Hans-Jürgen Leonhard den Auszug aus einem "Heim" verweigert (siehe auch).
Bartz: "Ich habe erst einmal eine Nacht über diese Nachricht schlafen wollen, in der Hoffnung, dass sich meine Gefühle etwas beruhigen. Das hat aber nichts genützt. Ich kann gar nicht beschreiben, was stärker ist: meine Wut, die Enttäuschung oder das Entsetzen darüber, dass ein Gericht es anscheinend billigend in Kauf nimmt, wenn ein 'Heim'aufenthalt womöglich zum früheren Tod führt".
In einem Telefonat mit Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein habe ihr dieser gesagt, dass das Gericht sehr wohl Kriterien für die Unzumutbarkeit eines "Heim"aufenthaltes sehe. Dies sei zum Beispiel bei einem 17-jährigen behinderten Mann, der in einem Altenheim lebe, der Fall - aber eben nicht bei Hans-Jürgen Leonhard, der ja eh schon alt wäre. Auch Pflegemängel seien kein Kriterium für Unzumutbarkeit. Diese müssten halt beseitigt werden.
"Mir wird einfach nur übel, wenn ich so etwas höre. Es wohl doch Menschen, deren Würde und auch deren Gesundheit angetastet werden darf", empört sich Bartz. "Sieht so aus, als wenn man dazu nur ein gewisses Alter erreichen muss, damit die Rechte auf Unversehrtheit ausgehebelt werden können. Dieses Urteil verfestigt meine Meinung, dass es höchste Zeit wird, dass so genannte Heime abgeschafft werden. Solange es die gibt, wird es auch Menschen geben, die anderen wegen bestimmter Kriterien wie Alter und/oder schwerer Behinderung ein Leben darin aufzwingen".
Sie hoffe nur, dass Hans-Jürgen Leonhard die Kraft habe, das Berufungsverfahren durchzustehen und dort auf menschlichere Richter zu stoßen. "Das Sozialgericht meinte gestern, Hans-Jürgen Leonhard habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass das Verbleiben im 'Heim' sein Leben verkürzen könnte. Soviel Zynismus macht mich sprachlos", sagt Bartz. hjr
Fundstelle: http://www.kobinet-nachrichten.org/cipp ... et,g_a_s_t
Dort sind auch einige Leserzuschriften nachlesbar!
Die vorstehenden Texte werden mit Erlaubnis der Redaktion von Kobinet vorgestellt:
Elke Bartz
Kobinet-Redakteurin
Nelkenweg 5
74673 Mulfingen-Hollenbach
Tel.: 07938 515
Fax: 01805 060 347 985 45
Mobil: 0171 235 4411
ALS-Patient soll nicht Zuhause sterben dürfen!
Moderator: WernerSchell
Schwerkranker darf nicht zu Hause sterben
Urteil:
Wegen zu hoher Pflegekosten muss Hans-Jürgen Leonhard im Heim bleiben
Schwerkranker darf nicht zu Hause sterben
Seit drei Jahren kämpft der vollständig gelähmte Mann dafür, in den eigenen vier Wänden seine verbleibende Lebenszeit zu verbringen.
Von Friederike Ulrich
Schläuche eines Beatmungsgerätes führen durch einen Luftröhrenschnitt direkt in Hans-Jürgen Leonhards Lunge. Ein am Finger angebrachter Oxymat misst den Sauerstoffgehalt seines Blutes. Durch eine direkt in den Magen gelegte Sonde wird er künstlich ernährt. Der 70-Jährige ist an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt, einer Nervenerkrankung, die zur Lähmung der Muskulatur führt. Seit 2004 liegt er im Pflegeheim: bei vollem Bewusstsein, doch von Kopf bis Fuß vollständig gelähmt - ein Albtraum. Für die ihm verbleibende Lebenszeit hat er nur noch einen Wunsch: Er möchte sie in den eigenen vier Wänden verbringen.
.... (weiter lesen unter)
http://www.abendblatt.de/daten/2007/12/14/827302.html
Wegen zu hoher Pflegekosten muss Hans-Jürgen Leonhard im Heim bleiben
Schwerkranker darf nicht zu Hause sterben
Seit drei Jahren kämpft der vollständig gelähmte Mann dafür, in den eigenen vier Wänden seine verbleibende Lebenszeit zu verbringen.
Von Friederike Ulrich
Schläuche eines Beatmungsgerätes führen durch einen Luftröhrenschnitt direkt in Hans-Jürgen Leonhards Lunge. Ein am Finger angebrachter Oxymat misst den Sauerstoffgehalt seines Blutes. Durch eine direkt in den Magen gelegte Sonde wird er künstlich ernährt. Der 70-Jährige ist an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt, einer Nervenerkrankung, die zur Lähmung der Muskulatur führt. Seit 2004 liegt er im Pflegeheim: bei vollem Bewusstsein, doch von Kopf bis Fuß vollständig gelähmt - ein Albtraum. Für die ihm verbleibende Lebenszeit hat er nur noch einen Wunsch: Er möchte sie in den eigenen vier Wänden verbringen.
.... (weiter lesen unter)
http://www.abendblatt.de/daten/2007/12/14/827302.html
-
- Newbie
- Beiträge: 23
- Registriert: 29.06.2007, 18:10
Menschenwürde und die Buchstaben des Gesetzes
Hallo,
offensichtlich ist es so, dass sich Behörden und Gerichte allein an irgendwelchen Gesetzesvorschriften aufhängen und die maßgeblichen Verfassungsgrundsätze - die Menschenwürde ist unantastbar - völlig aus dem Auge verloren haben.
Jemand gegen seinen Willen nicht Zuhause versorgen und sterben zu lassen, ist m.E. leicht als menschenverachtend / menschenunwürdig einzustufen und damit eine Verletzung unserer grundgesetzlichen Werteordnung. Behörden- und Gerichtsvertreter handeln damit verfassungswidrig!
Ich hoffe, dass der eingeschaltete Anwalt in der gebotenen Weise vorgeht. Möglicherweise ist es sinnvoll, mit der Anwaltskanzlei Putz / Steldinger in München Kontakt aufzunehmen.
Viele Grüße
offensichtlich ist es so, dass sich Behörden und Gerichte allein an irgendwelchen Gesetzesvorschriften aufhängen und die maßgeblichen Verfassungsgrundsätze - die Menschenwürde ist unantastbar - völlig aus dem Auge verloren haben.
Jemand gegen seinen Willen nicht Zuhause versorgen und sterben zu lassen, ist m.E. leicht als menschenverachtend / menschenunwürdig einzustufen und damit eine Verletzung unserer grundgesetzlichen Werteordnung. Behörden- und Gerichtsvertreter handeln damit verfassungswidrig!
Ich hoffe, dass der eingeschaltete Anwalt in der gebotenen Weise vorgeht. Möglicherweise ist es sinnvoll, mit der Anwaltskanzlei Putz / Steldinger in München Kontakt aufzunehmen.
Viele Grüße
Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen muss konsequent Beachtung finden!
Chartatext hier:
http://www.wernerschell.de/Medizin-Info ... 120505.PDF
Chartatext hier:
http://www.wernerschell.de/Medizin-Info ... 120505.PDF