Arztestreik und Pflegenotstand
Verfasst: 06.07.2006, 07:52
Streikausdehnung der Krankenhausärzte vernichtet weitere Arbeitsplätze der Pflege!
Klinikärzte und Klinikpflegekräfte stehen gemeinsam für die Notfall- und Akutversorgung der Patienten in den Kliniken engagiert zur Verfügung. Ihre Zusammenarbeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um gute und sichere Versorgungsqualität zu garantieren. Patienten und Angehörige haben ein Recht auf diese gesicherte Versorgung.
Der seit Monaten anhaltende und nun weiter organisierte Ärztestreik belastet Pflegekräfte in außerordentlicher Weise. Was die Ärztegewerkschaft den Pflegenden an Mehrbelastung zumutet ist unerträglich und darf nicht akzeptiert werden.
Waren es bisher 35 Universitätskliniken, so stehen jetzt 700 Kliniken auf der Streikliste. Konfrontiert wird das Pflegepersonal zusätzlich in der Haupturlaubszeit mit weiterer Mehrarbeit, warten auf ärztliche Entscheidungen, zusätzliche organisatorische Maßnahmen, Überstunden, Verzicht auf geplante freie Tage, vertröstende, ausgleichende Kommunikation bei Patienten und Angehörige etc., um Versorgungsengpässe zu verhindern. Das von Pflegekräften bisher gezeigte Verständnis und die über lange Strecken gezeigte Geduld brechen auf.
Der Deutsche Pflegerat bedauert zutiefst, dass die Ziele (bessere Vergütungsregelungen, verbesserte Arbeitsbedingen und einen eigenen Tarifvertrag) des Marburger Bundes zu großen Teilen auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen werden. Dies können und dürfen wir nicht lautlos zulassen. Pflege ist und will weiterhin zuverlässige und stabile Zusammenarbeit und will kompetenter Ansprechpartner der Patienten und deren Angehörigen bleiben. Dies ist allerdings nur mit einer Personalausstattung und mit verbindlichen Rahmenbedingungen möglich, die nicht durch die Streikergebnisse vernichtet werden.
Fakten:
Die Entsolidarisierung der Ärzteschaft durch die Streikaktivitäten des Marburger Bundes werden nachhaltige Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der Klinikbeschäftigten haben. Mit einem eigenen Tarifvertrag verfestigt sich das dominierende, selbst definierte und selbstbestimmte Medizinsystem. Dieser Tatbestand führt die Krankenhäuser in tiefere wirtschaftliche Notlagen, wenn nicht Gegenmaßnahmen, z.B. mehr Geld, in die Krankenhausbudgets fließen, sofortige Umstrukturierungsprogramme und Neuordnung der Aufgaben eingeleitet werden. Bleibt es bei der gedeckelten Ausgabensteigerungsrate von 0,63%, so kommt es unweigerlich zum direkten Stellenabbau in der Pflege.
Der einseitig stattfindende schleichende Personalabbau von Pflegekräften (32.000 VK) seit 2003 in den Klinken konnte bisher nur durch stringente organisatorische Maßnahmen und innovative Personal- und Gestaltungskonzepte der verantwortlichen Pflegemanager/innen kompensiert werden. Hinzu kommt, dass der Pflege zusätzlich durch den kalkulierten Bettenabbau weitere Personalverluste drohen. Im Vergleichszeitraum wurde durch 2.500 neue Stellen im ärztlichen Bereich eine deutliche Verbesserung vorgenommen. Daher gibt es unter den aktuell neuen Bedingungen keine Spielräume mehr, Belastungsausgleiche herzustellen.
Unter diesen Entwicklungen lässt sich ein Pflegenotstand prognostizieren.
Konsequente Organisationsveränderungen werden von großen Teilen der Ärzteschaft abgelehnt. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hätten sich die Ärzteorganisationen schon seit Jahren auf Erneuerungen einlassen müssen.
Das Pflegemanagement setzt sich selbstverständlich dafür ein, dass es eine vernünftige Harmonisierung der Erfordernisse zwischen Leistungsumfang, Arbeitsintensität, Arbeitszeitplanung und Dienstplangestaltung gibt. Alleine die vielen Arbeitszeitmodelle die erprobt sind und zusätzlich noch mit 700 Mio. € BMG-Mittel unterstützt werden, hätten den Ärzten die Chance gegeben, sich neu aufzustellen.
Mit den Forderungen des Streiks werden die eigentlichen Problemfelder, die das tägliche Arbeiten und die Zusammenarbeit der Berufsgruppen untereinander erheblich belasten, verdeckt. Aus der Sicht des Deutschen Pflegerates muss hier Transparenz zu den wirklichen Verhältnissen geschaffen werden, um keine Schieflage in der Bevölkerung zu bekommen. Den Patienten und der Bevölkerung wird mit den Streikargumenten vorgemacht, dass die Ärzteschaft ausgebeutet und schlechtesten Arbeitsbedingungen ausgesetzt sei.
Die Einsicht, dass durch interne Prozessveränderungen eine echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden kann, wird ausgeblendet. Unausweichlich ist die Umgestaltung der Ablauforganisation, weg von einer Funktionsbetrachtung hin zur Prozessorientierung. Dies erfordert die Bereitschaft sich von Berufsegoismen, tradierten hierarchischen Strukturen und liebgewordenen Gewohnheiten zu lösen und sich der Neuordnung zu stellen. So wäre bei Einführung eines Schichtmodells, wie es die Pflege seit Jahren kennt, keine einzige ärztliche Planstelle zusätzlich erforderlich.
Dies würde allerdings bedeuten, dass sich endlich etwas in der tradierten und extrem hierarchischen Organisation des Arztsystems ändern müsste. Die Pflege hat hier vor langer Zeit ihre Hausaufgaben gemacht.
Würden die Kernkompetenzen, Aufgabenfelder und Tätigkeiten der Profession „Pflege“ ärztlicherseits institutionalisiert akzeptiert, respektiert und anerkannt werden, könnten sich solche egoistischen gewerkschaftlichen Prozesse nicht entwickeln.
Wir hoffen, dass die Vernunft zu Gemeinsamkeiten siegt und die einseitigen, unangemessenen Forderungen sich nicht durchsetzen.
Der Arbeitskampf könnte aus unserer Sicht ausgebremst werden, wenn die Arbeitsbedingungen für Pflege und Ärzte in gleichem Maße Verbesserung erfahren könnten durch:
- Umgestaltung der Behandlungs-Abläufe (Prozessorientierung, gemeinsame Patientendokumentation, Interprofessionelle Behandlungspfade,
- Abstimmung der Arbeitszeitregelungen
- Neuordnung der Aufgaben, Tätigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
- Gemeinsame Fort- und Weiterbildung
In Krankenhäusern, wo das Pflegemanagement bereits die Kompetenz und Verantwortung für gezielte Prozesse z. B. Aufnahme- und Entlassmanagement (Case-Management) und Patientenmanagement übernommen hat, Pflegeexperten schmerztherapeutische Dienste wahrnehmen, Wundmanagement und Ernährungsberatung offiziell durchgeführt wird und verantwortlich medizinisch-therapeutische Leistungen wie z.B. Insulintherapie, Infusionstherapieleistungen zum Tätigkeitsbereich der beruflichen Pflege gehören, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften, Ärzten und Patienten zunehmend strukturierter, systematischer und reibungsloser.
Der Deutsche Pflegerat fordert die Bundesregierung auf, eine Personalbemessungsregelung einzuführen, die die sichere pflegerische Versorgung der Patienten in Krankenhäusern gewährleistet. Darüber hinaus ist endlich rechtlich verbindlich die pflegerische Autonomie auch im Bereich der medizinischen Betreuung neu zu regeln. Der Deutsche Pflegerat unterstützt alle Aktivitäten, die Pflegenden und Ärzten gemeinsam zu verbesserten Arbeitsbedingungen verhelfen. An erster Stelle steht für uns eine sichere klinische Behandlung, Fürsorge und das Wohl der Patienten.
Marie-Luise Müller
Präsidentin
Deutscher Pflegerat
Geisbergstr.39
10777 Berlin
http://www.deutscher-pflegerat.de
Quelle: Pressemitteilung vom 5.7.2006
Klinikärzte und Klinikpflegekräfte stehen gemeinsam für die Notfall- und Akutversorgung der Patienten in den Kliniken engagiert zur Verfügung. Ihre Zusammenarbeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um gute und sichere Versorgungsqualität zu garantieren. Patienten und Angehörige haben ein Recht auf diese gesicherte Versorgung.
Der seit Monaten anhaltende und nun weiter organisierte Ärztestreik belastet Pflegekräfte in außerordentlicher Weise. Was die Ärztegewerkschaft den Pflegenden an Mehrbelastung zumutet ist unerträglich und darf nicht akzeptiert werden.
Waren es bisher 35 Universitätskliniken, so stehen jetzt 700 Kliniken auf der Streikliste. Konfrontiert wird das Pflegepersonal zusätzlich in der Haupturlaubszeit mit weiterer Mehrarbeit, warten auf ärztliche Entscheidungen, zusätzliche organisatorische Maßnahmen, Überstunden, Verzicht auf geplante freie Tage, vertröstende, ausgleichende Kommunikation bei Patienten und Angehörige etc., um Versorgungsengpässe zu verhindern. Das von Pflegekräften bisher gezeigte Verständnis und die über lange Strecken gezeigte Geduld brechen auf.
Der Deutsche Pflegerat bedauert zutiefst, dass die Ziele (bessere Vergütungsregelungen, verbesserte Arbeitsbedingen und einen eigenen Tarifvertrag) des Marburger Bundes zu großen Teilen auf dem Rücken der Pflegekräfte ausgetragen werden. Dies können und dürfen wir nicht lautlos zulassen. Pflege ist und will weiterhin zuverlässige und stabile Zusammenarbeit und will kompetenter Ansprechpartner der Patienten und deren Angehörigen bleiben. Dies ist allerdings nur mit einer Personalausstattung und mit verbindlichen Rahmenbedingungen möglich, die nicht durch die Streikergebnisse vernichtet werden.
Fakten:
Die Entsolidarisierung der Ärzteschaft durch die Streikaktivitäten des Marburger Bundes werden nachhaltige Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der Klinikbeschäftigten haben. Mit einem eigenen Tarifvertrag verfestigt sich das dominierende, selbst definierte und selbstbestimmte Medizinsystem. Dieser Tatbestand führt die Krankenhäuser in tiefere wirtschaftliche Notlagen, wenn nicht Gegenmaßnahmen, z.B. mehr Geld, in die Krankenhausbudgets fließen, sofortige Umstrukturierungsprogramme und Neuordnung der Aufgaben eingeleitet werden. Bleibt es bei der gedeckelten Ausgabensteigerungsrate von 0,63%, so kommt es unweigerlich zum direkten Stellenabbau in der Pflege.
Der einseitig stattfindende schleichende Personalabbau von Pflegekräften (32.000 VK) seit 2003 in den Klinken konnte bisher nur durch stringente organisatorische Maßnahmen und innovative Personal- und Gestaltungskonzepte der verantwortlichen Pflegemanager/innen kompensiert werden. Hinzu kommt, dass der Pflege zusätzlich durch den kalkulierten Bettenabbau weitere Personalverluste drohen. Im Vergleichszeitraum wurde durch 2.500 neue Stellen im ärztlichen Bereich eine deutliche Verbesserung vorgenommen. Daher gibt es unter den aktuell neuen Bedingungen keine Spielräume mehr, Belastungsausgleiche herzustellen.
Unter diesen Entwicklungen lässt sich ein Pflegenotstand prognostizieren.
Konsequente Organisationsveränderungen werden von großen Teilen der Ärzteschaft abgelehnt. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen hätten sich die Ärzteorganisationen schon seit Jahren auf Erneuerungen einlassen müssen.
Das Pflegemanagement setzt sich selbstverständlich dafür ein, dass es eine vernünftige Harmonisierung der Erfordernisse zwischen Leistungsumfang, Arbeitsintensität, Arbeitszeitplanung und Dienstplangestaltung gibt. Alleine die vielen Arbeitszeitmodelle die erprobt sind und zusätzlich noch mit 700 Mio. € BMG-Mittel unterstützt werden, hätten den Ärzten die Chance gegeben, sich neu aufzustellen.
Mit den Forderungen des Streiks werden die eigentlichen Problemfelder, die das tägliche Arbeiten und die Zusammenarbeit der Berufsgruppen untereinander erheblich belasten, verdeckt. Aus der Sicht des Deutschen Pflegerates muss hier Transparenz zu den wirklichen Verhältnissen geschaffen werden, um keine Schieflage in der Bevölkerung zu bekommen. Den Patienten und der Bevölkerung wird mit den Streikargumenten vorgemacht, dass die Ärzteschaft ausgebeutet und schlechtesten Arbeitsbedingungen ausgesetzt sei.
Die Einsicht, dass durch interne Prozessveränderungen eine echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen erreicht werden kann, wird ausgeblendet. Unausweichlich ist die Umgestaltung der Ablauforganisation, weg von einer Funktionsbetrachtung hin zur Prozessorientierung. Dies erfordert die Bereitschaft sich von Berufsegoismen, tradierten hierarchischen Strukturen und liebgewordenen Gewohnheiten zu lösen und sich der Neuordnung zu stellen. So wäre bei Einführung eines Schichtmodells, wie es die Pflege seit Jahren kennt, keine einzige ärztliche Planstelle zusätzlich erforderlich.
Dies würde allerdings bedeuten, dass sich endlich etwas in der tradierten und extrem hierarchischen Organisation des Arztsystems ändern müsste. Die Pflege hat hier vor langer Zeit ihre Hausaufgaben gemacht.
Würden die Kernkompetenzen, Aufgabenfelder und Tätigkeiten der Profession „Pflege“ ärztlicherseits institutionalisiert akzeptiert, respektiert und anerkannt werden, könnten sich solche egoistischen gewerkschaftlichen Prozesse nicht entwickeln.
Wir hoffen, dass die Vernunft zu Gemeinsamkeiten siegt und die einseitigen, unangemessenen Forderungen sich nicht durchsetzen.
Der Arbeitskampf könnte aus unserer Sicht ausgebremst werden, wenn die Arbeitsbedingungen für Pflege und Ärzte in gleichem Maße Verbesserung erfahren könnten durch:
- Umgestaltung der Behandlungs-Abläufe (Prozessorientierung, gemeinsame Patientendokumentation, Interprofessionelle Behandlungspfade,
- Abstimmung der Arbeitszeitregelungen
- Neuordnung der Aufgaben, Tätigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten
- Gemeinsame Fort- und Weiterbildung
In Krankenhäusern, wo das Pflegemanagement bereits die Kompetenz und Verantwortung für gezielte Prozesse z. B. Aufnahme- und Entlassmanagement (Case-Management) und Patientenmanagement übernommen hat, Pflegeexperten schmerztherapeutische Dienste wahrnehmen, Wundmanagement und Ernährungsberatung offiziell durchgeführt wird und verantwortlich medizinisch-therapeutische Leistungen wie z.B. Insulintherapie, Infusionstherapieleistungen zum Tätigkeitsbereich der beruflichen Pflege gehören, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften, Ärzten und Patienten zunehmend strukturierter, systematischer und reibungsloser.
Der Deutsche Pflegerat fordert die Bundesregierung auf, eine Personalbemessungsregelung einzuführen, die die sichere pflegerische Versorgung der Patienten in Krankenhäusern gewährleistet. Darüber hinaus ist endlich rechtlich verbindlich die pflegerische Autonomie auch im Bereich der medizinischen Betreuung neu zu regeln. Der Deutsche Pflegerat unterstützt alle Aktivitäten, die Pflegenden und Ärzten gemeinsam zu verbesserten Arbeitsbedingungen verhelfen. An erster Stelle steht für uns eine sichere klinische Behandlung, Fürsorge und das Wohl der Patienten.
Marie-Luise Müller
Präsidentin
Deutscher Pflegerat
Geisbergstr.39
10777 Berlin
http://www.deutscher-pflegerat.de
Quelle: Pressemitteilung vom 5.7.2006