Demenzerkrankte im Heim & die Aufsichtspflicht
Verfasst: 08.09.2011, 08:17
Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht
Unter dem gleichnamigen Titel hat Martina Wenker in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Die Schwester/Der Pfleger 09/11, S. 926 – 928 eine bemerkenswerte Entscheidung des Thüringer OLG v. 23.03.11
(vgl. dazu u.a. die PM des OLG >>> http://www.thueringen.de/de/olg/infothe ... ntent.html <<<)
rezensiert und sie geht davon aus, dass die Entscheidung überzeugt.
Dem ist in der Tat so, auch wenn das Gericht selbst darauf hingewiesen hat, dass es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelt (was im Übrigen der Regelfall ist!).
Es bleibt abzuwarten, ob die Lesart des Thüringer OLG vornehmlich in der Pflegerechtswissenschaft „anschlussfähig“ ist, wird doch gerade von dieser im besten Einvernehmen mit führenden Gerontologen nicht selten die „Würde“ und weitere Grundrechte des dementiell Erkrankten als zentrale Argumente dafür bemüht, dass der Demenzerkrankte im Zweifel auch „Lebensrisiken“ ausgesetzt ist. Zugleich wird als weiteres Argument auf die zwischenzeitlich ergangene Rspr. des BGH (sog. Sturzfälle) verwiesen, dass die Pflichten des Pflege-/Altenheims auf die in solchen Heimen üblichen Maßnahmen begrenzt seien, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müsse das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein
(vgl. zur Kritik an der Rspr. des BGH bereits Barth, Wird der Demenzpatient ein „Opfer“ der Ökonomie? - zugleich ein Beitrag zur fragwürdigen Lehre „des typischen Lebensrisikos“ und der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung, Okt. 2006 >>> http://www.iqb-info.de/Demenzpatient_Oekonomie.pdf <<< pdf.).
In der Folge hat sich in der Fachzeitschrift Pflegerecht eine lebhafte Diskussion über die sog. „Aufsichtspflichten“ entwickelt, die derzeit noch nicht als „entschieden“ angesehen werden kann, so dass etwa die Auffassung von Klie keineswegs die „herrschende Lehre“ widerspiegelt.
Der Freiburger Rechtswissenschaftler Thomas Klie hat in einem Beitrag, zusammen mit D. Bredthauer und M. Viol (Entscheidungsfindung zwischen Sicherheit und Mobilitätsförderung: Die Suche nach dem Königsweg …, in BTPrax 1/2009), die Notwendigkeit gesehen, darauf hinzuweisen, dass sich die „pflegerechtliche Diskussion um die „Aufsichtspflicht“ in vollstationären Pflegeeinrichtungen nicht immer auf der Höhe der Zeit“ befindet und verweist hierzu auf den diesseits verfassten Dreiteiler in der Zeitschrift PflegeRecht zu den Aufsichtspflichten einer Alten- und Pflegeeinrichtung über einen dementiell erkrankten Bewohner (PflR 01/08, S. 3ff.; 02/08, S. 53 ff. u. PflR 03/08, S. 103 ff.)
Bereits seinerzeit hat Klie die Initiative ergriffen und im Rahmen eines Beitrages zugleich die Möglichkeit genutzt, in der Zeitschrift PflegeRecht (Klie, Förderung von Mobilität und Sicherheit bei Menschen mit demenziellen Einschränkungen in stationären Einrichtungen und die Debatte um die „Aufsichtspflicht“, in PflR 08/2008, S. 366 ff.) auf den diesseitigen Beitrag Stellung zu beziehen, worauf wiederum Barth (Barth, Nochmals: Die Aufsichtspflicht – eine Erwiderung zum Beitrag von Klie, in PflR 10/2008, S. 474 ff.) repliziert hat.
Aus fachlicher Sicht (und hier ist expressis verbis das „Recht“ gemeint!) ist dem Disput derzeit nichts hinzuzufügen, außer der Tatsache, dass es doch ein wenig verwunderlich ist, dass Thomas Klie sich offensichtlich außerstande sieht, mit entsprechenden Rechtsargumenten aufzuwarten, die darlegen, dass der „pflegerechtliche Diskurs sich nicht auf der Höhe der Zeit befindet“! Dies verwundert, weil der Begriff „Aufsichtspflicht“ nicht deshalb obsolet geworden ist, nur weil wir meinen, diesen durch das sog. „herausfordernde Verhalten“ ersetzen zu müssen (vgl. dazu auch Barth, Aufsichtspflichten und Mobilität – ein Gegensatz per se?, im BLOG Brennpunkt Pflegerecht >>> Kurzbeitrag <<< html; ders., in Nachgehakt: „Aufsichtspflichten“ und „Herausforderndes Verhalten“ >>> h[url]ttp://www.iqb-info.de/Nachgehakt_Demenz_Herau ... i_2009.pdf[/url] <<< ).
Die Entscheidung des Thüringer OLG ist daher als ein Schritt in die richtige Richtung zu werten, ist doch mit Blick auf den Einzelfall die Einrichtung vertraglich verpflichtet, hinreichend sichere Maßnahmen gegen ein erneutes Weglaufen zu treffen (hier als sog. Betreuungspflichten qualifiziert).
Lutz Barth
Unter dem gleichnamigen Titel hat Martina Wenker in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Die Schwester/Der Pfleger 09/11, S. 926 – 928 eine bemerkenswerte Entscheidung des Thüringer OLG v. 23.03.11
(vgl. dazu u.a. die PM des OLG >>> http://www.thueringen.de/de/olg/infothe ... ntent.html <<<)
rezensiert und sie geht davon aus, dass die Entscheidung überzeugt.
Dem ist in der Tat so, auch wenn das Gericht selbst darauf hingewiesen hat, dass es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelt (was im Übrigen der Regelfall ist!).
Es bleibt abzuwarten, ob die Lesart des Thüringer OLG vornehmlich in der Pflegerechtswissenschaft „anschlussfähig“ ist, wird doch gerade von dieser im besten Einvernehmen mit führenden Gerontologen nicht selten die „Würde“ und weitere Grundrechte des dementiell Erkrankten als zentrale Argumente dafür bemüht, dass der Demenzerkrankte im Zweifel auch „Lebensrisiken“ ausgesetzt ist. Zugleich wird als weiteres Argument auf die zwischenzeitlich ergangene Rspr. des BGH (sog. Sturzfälle) verwiesen, dass die Pflichten des Pflege-/Altenheims auf die in solchen Heimen üblichen Maßnahmen begrenzt seien, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab müsse das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein
(vgl. zur Kritik an der Rspr. des BGH bereits Barth, Wird der Demenzpatient ein „Opfer“ der Ökonomie? - zugleich ein Beitrag zur fragwürdigen Lehre „des typischen Lebensrisikos“ und der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung, Okt. 2006 >>> http://www.iqb-info.de/Demenzpatient_Oekonomie.pdf <<< pdf.).
In der Folge hat sich in der Fachzeitschrift Pflegerecht eine lebhafte Diskussion über die sog. „Aufsichtspflichten“ entwickelt, die derzeit noch nicht als „entschieden“ angesehen werden kann, so dass etwa die Auffassung von Klie keineswegs die „herrschende Lehre“ widerspiegelt.
Der Freiburger Rechtswissenschaftler Thomas Klie hat in einem Beitrag, zusammen mit D. Bredthauer und M. Viol (Entscheidungsfindung zwischen Sicherheit und Mobilitätsförderung: Die Suche nach dem Königsweg …, in BTPrax 1/2009), die Notwendigkeit gesehen, darauf hinzuweisen, dass sich die „pflegerechtliche Diskussion um die „Aufsichtspflicht“ in vollstationären Pflegeeinrichtungen nicht immer auf der Höhe der Zeit“ befindet und verweist hierzu auf den diesseits verfassten Dreiteiler in der Zeitschrift PflegeRecht zu den Aufsichtspflichten einer Alten- und Pflegeeinrichtung über einen dementiell erkrankten Bewohner (PflR 01/08, S. 3ff.; 02/08, S. 53 ff. u. PflR 03/08, S. 103 ff.)
Bereits seinerzeit hat Klie die Initiative ergriffen und im Rahmen eines Beitrages zugleich die Möglichkeit genutzt, in der Zeitschrift PflegeRecht (Klie, Förderung von Mobilität und Sicherheit bei Menschen mit demenziellen Einschränkungen in stationären Einrichtungen und die Debatte um die „Aufsichtspflicht“, in PflR 08/2008, S. 366 ff.) auf den diesseitigen Beitrag Stellung zu beziehen, worauf wiederum Barth (Barth, Nochmals: Die Aufsichtspflicht – eine Erwiderung zum Beitrag von Klie, in PflR 10/2008, S. 474 ff.) repliziert hat.
Aus fachlicher Sicht (und hier ist expressis verbis das „Recht“ gemeint!) ist dem Disput derzeit nichts hinzuzufügen, außer der Tatsache, dass es doch ein wenig verwunderlich ist, dass Thomas Klie sich offensichtlich außerstande sieht, mit entsprechenden Rechtsargumenten aufzuwarten, die darlegen, dass der „pflegerechtliche Diskurs sich nicht auf der Höhe der Zeit befindet“! Dies verwundert, weil der Begriff „Aufsichtspflicht“ nicht deshalb obsolet geworden ist, nur weil wir meinen, diesen durch das sog. „herausfordernde Verhalten“ ersetzen zu müssen (vgl. dazu auch Barth, Aufsichtspflichten und Mobilität – ein Gegensatz per se?, im BLOG Brennpunkt Pflegerecht >>> Kurzbeitrag <<< html; ders., in Nachgehakt: „Aufsichtspflichten“ und „Herausforderndes Verhalten“ >>> h[url]ttp://www.iqb-info.de/Nachgehakt_Demenz_Herau ... i_2009.pdf[/url] <<< ).
Die Entscheidung des Thüringer OLG ist daher als ein Schritt in die richtige Richtung zu werten, ist doch mit Blick auf den Einzelfall die Einrichtung vertraglich verpflichtet, hinreichend sichere Maßnahmen gegen ein erneutes Weglaufen zu treffen (hier als sog. Betreuungspflichten qualifiziert).
Lutz Barth