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Wut über Knochenarbeit und fehlende Menschenwürde

Verfasst: 13.02.2010, 10:30
von Presse
Wut über Knochenarbeit und fehlende Menschenwürde treibt Pflegekräfte in den Streik

Geschrieben von Hans-Gerd Öfinger
Friday, 12 February 2010


Bei der aktuellen Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst geht es nicht nur um eine Einkommenserhöhung. Speziell in Krankenhäusern und städtischen Pflegeheimen geht es vor allem auch um bessere Arbeitsbedingungen. Gerade hier hat die Arbeitsbelastung extrem zugenommen. „Immer wieder müssen wir aus der Freizeit heraus einspringen, weil die Personaldecke inzwischen so dünn ist“, kommentiert eine Krankenschwester die Situation in der Pflege.
.... (mehr)
http://www.derfunke.de/content/view/863/75/

Pflegenotstand ist der eigentliche Reform-Knackpunkt

Verfasst: 13.02.2010, 10:51
von WernerSchell
Der Pflegenotstand ist der eigentliche Reform-Knackpunkt in unseren Pflegesystemen (Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen).

Daher wird das Thema von mir immer wieder angesprochen, so auch erneut beim Pflegetreff am 27.04.2010:
viewtopic.php?t=12279&highlight=pflegenotstand
Allerdings müssen auch endlich vernünftige Personalbemessungssysteme auf den Tisch. Insoweit sind Berufsverbände und Gewerkschaften mit in der Pflicht. Da kommt aber nichts bis wenig. Ich habe diesbezüglich schon viele Briefe (vergeblich) geschrieben.

Werner Schell
http://www.wernerschell.de
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de

Verfasst: 13.02.2010, 11:41
von johannes
Nun, solange die PK durch ihr Handeln beweisen, daß es auch mit einer dünnen Personaldecke geht, wird sich nichts ändern. Wenn dann auch noch durch die Schulnoten der Nachweis gebracht wird, daß es GUT funktioniert, wird sich erst recht nichts ändern.

Da wird wohl ein Umdenken an der Front erforderlich sein. PK müssen sich entscheiden, grundsätzlich nur noch nach SGB XI, § 28, Abs. 4 zu handeln. Was dabei liegen bleibt, bleibt liegen. Erst dann wird auch die Politik wach!

Demos zur Überwindung des Pflegenotstandes

Verfasst: 13.02.2010, 12:00
von PflegeCologne
Hallo Johannes,

ja, man müsste eigentlich "Dienst nach Vorschrift" machen. Was nicht fachlich einwandfrei erledigt werden kann, bleibt liegen.

Aber dann hätten wir das perfekte Chaos und unendlich viele Haftungsfälle. Denn es ist m.E. so, dass immer mit der erforderlichen Sorgfalt gearbeitet werden muss. Das bedeutet aber auch, dass man bei einer Überlast noch überzeugende Erwägungen darüber anstellen muss, was man macht und was nicht. Dann kommen noch die Erfordernisse mit der Überlastungsanzeige hinzu. ...

Ich denke, dass die Pflegekräfte in anderer Form agieren müssen. Sie müssen "pflegepolitischer" werden und sich deutlicher zu Wort melden, dürfen das Feld nicht dem Oberjammerer Fussek überlassen. Der haut ja im Zweifel noch auf die Pflegekräfte ein.

Ich werde am 27.04.2010 in Neuss sein und dort mit für eine vernünftige Pflegereform - vor allem zur Überwindung des Pflegenotstandes - demonstrieren:
viewtopic.php?t=12279

Es wäre zu wünschen, dass dann auch zahlreiche Pflegekräfte mit mir auf der Matte stehen.

MfG
Pflege Cologne

Pflegenotstand

Verfasst: 13.02.2010, 18:47
von Lutz Barth
"Insoweit sind Berufsverbände und Gewerkschaften mit in der Pflicht. Da kommt aber nichts bis wenig. Ich habe diesbezüglich schon viele Briefe (vergeblich) geschrieben", so oben W. Schell und allein dieser Umstand muss alle beruflich Pflegenden nachdenklich stimmen!

Gerade die Berufsverbände mit ihrem emanzipatorischen Anspruch sind hier gefordert und da finde ich es persönlich doch eher kontraproduktiv, wenn die Pflegeberufsverbände derzeit überwiegend auf allgemeinpolitischer Ebene für eine Pflegekammer "werben" und so tun, als wären hiermit die Probleme gelöst. Inmitten der Neuordnung der Gesundheitsberufe sollten sich die Berufsverbände vielmehr Gedanken darüber machen, wie künftig der Pflegealltag zu bewältigen ist, wenn zusätzlich noch genuin ärztliche Aufgaben übertragen werden. Wer da glaubt, dass Träger sich in der Breite dazu entschließen werden, ggf. weiteres Personal einzustellen, damit die Pflegekräfte entlastet werden, befindet sich m.E. auf dem Holzweg.

Johannes weist prinzpiell auf den gebotenen Weg und da wird man/frau gelegentlich wohl nicht umhinkommen, auch die sog. "Überlastungsanzeigen" zu schreiben. Andererseits wäre es natürlich zu begrüßen, wenn die Pflege endlich aufhört, schlicht und wenig ergreifend zu "jammern". Aktivitäten sind gefordert und zwar in der Breite oder wollen die beruflich Pflegenden etwa darauf zuwarten, bis sich endlich irgendwo einmal eine "Kammer" institutionalisiert hat, um so vielleicht "Druck" aufbauen zu können?

Hilfreich wäre es zudem, wenn gelegentlich das "Helfersyndrom" abgelegt wird, zumal durch pflegeethischen Botschaften (geschweige denn eines spezielles Eides) sich die Situation nicht ändern wird. Auch da könnte auf Johannes verwiesen werden, der in einem anderen Threat (zwar zu einem anderen Thema) sich darüber beklagt hat, dass wir uns alle in einem ganz großen Debattierclub befinden: Handeln ist angesagt und auch da könnte ein Blick in die Verfassung hilfreich sein (Art. 9 GG).

Wie war das noch vor nicht allzu langer Zeit hier im Forum? Hat man/frau sich nicht in Teilen über die ErzieherInnen aufgeregt?

Nun - immerhin hat diese Berufsgruppe auch etwas für sich (!) bewegt und beklagt nicht nur einfach das "System".
:roll:

Wirksames Beschwerdemanagement ermöglichen

Verfasst: 14.02.2010, 10:45
von Hildegard Kaiser
Reform der Pflegesysteme - "Wir alle sind gefordert" -
Stellungnahme von Pro-Pflege Selbsthilfenetzwerk zum Koalitionsvertrag (Abschnitt 9.2.: Pflege- Weiterentwicklung der Pflegeversicherung) hier
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwe ... ysteme.php

Dort sind u.a. Ausführungen von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk darüber zu finden, dass es einen neuen § 612a BGB geben soll / muss. Ich finde die diesbezüglichen Forderungen wichtig, sie sollten umfassend Unterstützung finden!

Hier der Textauszug:

--- Wirksames Beschwerdemanagement ermöglichen

Im Übrigen müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, für Pflegeeinrichtungen Beschwerdemanagementsysteme zu installieren, die wirksam Pflegemissstände aufklären und beseitigen helfen. Dazu erscheint u.a. eine Vorschrift im BGB erforderlich (= Neufassung des § 612a BGB), die es MitarbeiterInnen in der Pflege nachteilsfrei ermöglicht, offensiver mit Anregungen und Beschwerden umzugehen.

Dazu hat sich Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk 2008 wiederholt an den Deutschen Bundestag gewandt und auf notwendige Beschlussnotwendigkeiten aufmerksam gemacht, erfolglos. U.a. wurde dazu von hier ausgeführt:

Die seit Jahren beklagten Pflegemängel werden weder durch das 2008 reformierte SGB XI (mit neuen Transparenzvorgaben und Bewertungssystemen –„Schulnoten“ für Pflegeeinrichtungen) und die neuen Länder-Heimgesetze (z.B. mit regelmäßigen unangemeldeten Heimprüfungen) noch durch das WBVG entscheidend vermindert werden können.

Daher müssen die MitarbeiterInnen der Pflegeeinrichtungen in die Verbesserung der Pflegesituationen verstärkt eingebunden werden. Beschwerden über organisatorische und personelle Unzulänglichkeiten in den Pflegeeinrichtungen müssen dadurch angeregt bzw. ermöglicht werden, indem die Mitteilungen über solche Zustände durch eine gesetzliche Vorschrift für die MitarbeiterInnen „nachteilsfrei“ gestellt werden (ähnlich dem § 17 Arbeitsschutzgesetz).

Insoweit wird bereits im Deutschen Bundestag eine Gesetzesinitiative diskutiert, die u.a. die Einfügung eines neu gefassten § 612a in das BGB vorsieht:

§ 612a BGB – Anzeigerecht
(1) Ist ein Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, dass im Betrieb oder bei einer betrieblichen Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, kann er sich an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständigen Stelle wenden und Abhilfe verlangen. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nach, hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden.
(2) Ein vorheriges Verlangen nach Abhilfe ist nicht erforderlich, wenn dies dem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. Unzumutbar ist ein solches Verlangen stets, wenn der Arbeitnehmer aufgrund kon­kreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass
1. aus dem Betrieb eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt droht,
2. der Arbeitgeber oder ein anderer Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat,
3. eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige er sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde,
4. eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.
3) Von den Absätzen 1 und 2 kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.
(4) Beschwerderechte des Arbeitnehmers nach anderen Rechtsvorschriften und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

Quelle für das Zitat u.a.: Drucksache des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Nr. 16(10)849

Es macht wenig Sinn, von den Pflegekräften stets und ständig engagiertes bzw. couragiertes Verhalten im Betrieb abzuverlangen, sie dann aber anschließend im Stich zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass man den Pflegekräften Schutz zu bieten hat. Insoweit scheint der neugefasste § 612a BGB (oder eine entsprechende Vorschrift im WBVG) sehr hilfreich. Dabei wird natürlich nicht verkannt, dass auch eine solche Vorschrift nicht in allen Fällen verhindern kann, dass es gleichwohl Sanktionen gegen unliebsame ArbeitnehmerInnen geben wird. Aber die vorgeschlagene Neuregelung könnte dazu beitragen, eine neue Kultur des Hinschauens zu entwickeln.

Auch die Hauptversammlung des Marburger Bundes hat den Deutschen Bundestag anlässlich seiner Hauptversammlung am 07.11.2009 aufgefordert, für mehr Informationsfreiheit einzutreten, damit endlich der Schutz von Fehlermeldern (Whistleblowers) für das Gesundheitswesen gesetzlich festgeschrieben wird. Dies sei auch Voraussetzung dafür, dass die Idee des Critical Incident Reporting Systems (CIRS), also der Mitteilung von Beinahe-Schadensfällen, nachhaltig Fuß fassen kann. In einer Pressemitteilung des Marburger Bundes vom 07.11.2009 heißt es dazu:

„Die Beschäftigten im Gesundheitswesen dürfen keine arbeitsrechtlichen Folgen befürchten müssen, wenn sie Gefahren und Rechtsverstöße in ihrem Arbeitsbereich melden. Eine Novellierung des § 612a BGB zum Informationsschutz für Beschäftigte mit der Aufnahme eines Anzeigerechtes ist erforderlich“, heißt es in dem Beschluss des Ärzteverbandes.

Wirksames Beschwerdemanagement ermöglichen

Verfasst: 25.02.2010, 08:21
von Cicero
Hildegard Kaiser hat geschrieben: .... Im Übrigen müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, für Pflegeeinrichtungen Beschwerdemanagementsysteme zu installieren, die wirksam Pflegemissstände aufklären und beseitigen helfen. Dazu erscheint u.a. eine Vorschrift im BGB erforderlich (= Neufassung des § 612a BGB), die es MitarbeiterInnen in der Pflege nachteilsfrei ermöglicht, offensiver mit Anregungen und Beschwerden umzugehen. ..... Es macht wenig Sinn, von den Pflegekräften stets und ständig engagiertes bzw. couragiertes Verhalten im Betrieb abzuverlangen, sie dann aber anschließend im Stich zu lassen. Es liegt auf der Hand, dass man den Pflegekräften Schutz zu bieten hat. Insoweit scheint der neugefasste § 612a BGB (oder eine entsprechende Vorschrift im WBVG) sehr hilfreich. Dabei wird natürlich nicht verkannt, dass auch eine solche Vorschrift nicht in allen Fällen verhindern kann, dass es gleichwohl Sanktionen gegen unliebsame ArbeitnehmerInnen geben wird. Aber die vorgeschlagene Neuregelung könnte dazu beitragen, eine neue Kultur des Hinschauens zu entwickeln.
....
Ich halte die gemachten Vorschläge, die rechtlichen Grundlagen für ein Beschwerdemanagement arbeitnehmerfreundlicher zu machen, für einen guten Weg, u.a. Pflegemängel zu vermeiden und zeitgerecht gegen nicht akzeptable Arbeitsbedingungen vorzugehen. Die Pflegekräfte sind selbst gefordert. Allerdings muss man ihnen dazu die "rechtliche Basis" gewährleisten. Die jetzigen Strukturen eignen sich weniger gut, um sich laut und deutlich zu Wort zu melden. Das muss sich im Interesse aller ändern, schnellstens.

Cicero