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Mobilität und Sicherheit bei Demenzpatienten

Verfasst: 20.01.2010, 14:34
von Lutz Barth
Mobilität und Sicherheit bei demenziell erkrankten Heimbewohnern
Professionelle Antworten auf ein „every day“ Thema durch das QN I der BUKO-QS

v. Thomas Klie, Freiburg


Quelle: Altenheim.Vincentz.net >>> http://www.altenheim.vincentz.net/files ... 1/buko.pdf <<<

Kurze Anmerkung (L. Barth, 18.01.10):

Ob die Qualitätsniveaus sich neben den Richtlinien, Leitlinien, Empfehlungen, nationalen und sonstigen Pflegestandards als eine „Art“ von Expertenstandards i.S.v. § 113 SGB XI künftig etablieren werden, bleibt abzuwarten und soll hier nicht weiter diskutiert werden.

Ich möchte vielmehr Ihr Augenmerk darauf lenken, dass jedenfalls mit Blick auf die Qualitätsniveaus als Expertenstandards die Experten sich erkennbar darauf verständigt haben, dass diese sich durch ihre multidisziplinäre Anlage auszeichnen. Dies ist nach der „vitalen Diskussion“ um den Rechtsbegriff der Aufsichtspflichten nachhaltig zu begrüßen, wird doch dadurch auch deutlich, dass Juristen eine „fachlich gebotene Diskussion“ nicht belasten, wie gelegentlich in Fachbeiträgen behauptet wurde.

Insofern ist die folgende Erkenntnis in dem Kurzbeitrag von Klie nachdrücklich zu begrüßen:

„Will man fachlich routiniert, menschenfreundlich und achtend mit dem Spannungsverhältnis von Mobilität und Sicherheit in der Begleitung von Menschen mit Demenz umgehen, so ist dies eben nicht nur eine pflegefachliche sondern eben auch eine Frage gelingender Kooperation unterschiedlicher Verantwortungsträger. Das machen die Qualitätsniveaus deutlich, die eben nicht nur das Heim selbst in die Verantwortung nehmen sondern auch Externe. Das macht die Modernität und Problemangemessenheit von Qualitätsniveaus aus“ (Klie, s.o., ohne Seitenangabe).

Es ist eben auch eine Frage der Evidenz von Qualitätsniveaus, neben dem pflegefachlichen Verständnis zugleich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Kenntnis zu nehmen, wenngleich ohne Frage die „formalrechtliche Legitimation entsprechender Maßnahmen … nicht unbedingt die Lebensqualität des Betroffenen (verbessert). Mit Recht fixiert bleibt eben fixiert“, so Klie resümierend.

Andererseits darf nicht verkannt werden, dass das sog. herausforderndes Verhalten der an Demenz Erkrankten nicht selten in handfeste (geronto)psychiatrischen Krisen mündet, die im Zweifel aufgrund des Integritätsschutzes der Bewohner, aber auch der Interessen Dritter wegen besondere Interventionsstrategien erfordern (vgl. dazu den diesseitigen Ansatz in, Nachgehakt: „Aufsichtspflichten“ und „Herausforderndes Verhalten“ (Mai 2009), in IQB – Internetportal unter >>> http://www.iqb-info.de/Nachgehakt_Demen ... i_2009.pdf <<<).

Hier scheint dann eine „formalrechtliche Legitimation“ für entsprechende Maßnahmen nicht nur gewünscht, sondern auch zwingend geboten. Nicht nur das Fachpersonal wird „herausgefordert“, sondern insbesondere auch das „Recht“, um hier auf das herausfordernde Verhalten der an Demenz erkrankten Bewohner adäquat reagieren zu können. Die Lebensqualität des Betroffenen darf jedenfalls nach diesseitigem Verständnis nicht zum allgemeinen Lebensrisiko Dritter führen und sofern der unmittelbar betroffene Demenzpatient dieses spezifische individuelle Lebensrisiko auch für sich persönlich ausgeschlossen wissen möchte, erfährt die „Fixierung“ eine weitere ganz entscheidende Legitimationsbasis: die der rechtfertigenden Einwilligung!

Verfasst: 21.01.2010, 18:09
von thorstein
Hier wird wie üblich um den heißen Brei herumgeredet. Das Spannungsverhältnis besteht zwischen der fachlich angemessenen Begleitung und der aufgrund der mangelnden Ressourcen tatsächlich darstellbaren Begleitung. Dieser Widerspruch wird tatsächlich derzeit aufgelöst, indem man den Demenzkranken ein allgemeines Lebensrisiko zugesteht. Dieses Lebensrisiko besteht in dem staatlich verordneten Personalmangel.
Bei einer fachlich angemessenen Begleitung würde sich auch die haftungsrechtliche Frage ganz anders stellen.
Erhellend ist in diesem Zusammenhang die Empfehlung in den Verantwortungsbereichen am Ende des Dokuments: bewegungsfördernde Massnahmen werden von Angehörigen und Freiwilligen durchgeführt. Wenn das kein Kotau vor unseren leeren Sozialkassen ist.

@Thorstein

Verfasst: 21.01.2010, 18:58
von Lutz Barth
Dem wird man/frau wohl nicht widersprechen können - es sei denn: wir würden das "Lebensrisiko" mi "Lebensqualität" gleichsetzen und dabei nicht nachlassen, die "Demenz zu verklären".

Im Übrigen ist es in der Tat so, dass nicht nur der Staat, sondern zunehmend auch die Gerichte dem Demenzpatienten das individuelle Lebensrisiko überantworten; es sei hier an die Entscheidungen zur Sturzprophylaxe erinnert, bei denen das wirtschaftlich Mögliche und das personell Zumutbare zu Prüfkriterien bei der Ausgestaltung von "Pflichten" erhoben worden sind.

BGH hat Pflege schlechten Dienst erwiesen

Verfasst: 21.01.2010, 19:14
von PflegeCologne
Lutz Barth hat geschrieben: .... Im Übrigen ist es in der Tat so, dass nicht nur der Staat, sondern zunehmend auch die Gerichte dem Demenzpatienten das individuelle Lebensrisiko überantworten; es sei hier an die Entscheidungen zur Sturzprophylaxe erinnert, bei denen das wirtschaftlich Mögliche und das personell Zumutbare zu Prüfkriterien bei der Ausgestaltung von "Pflichten" erhoben worden sind.
Hallo,
es ist mehr als bedauerlich, dass der BGH in Entscheidungen zur Sturzprophylaxe die Risiken weitgehend auf die pflegebedürftigen Menschen verlagert hat. Er hat einfach die gegebenen Pflege-Rahmenbedingungen als Orientierungsmaßstab gewählt und danach die Heimträgerpflichten minimiert.
Das halte ich schlicht für eine mehr als fragwürdige Rechtsprechung. Der BGH hätte sich mit der Pflegequalität, die das SGB XI herausstellt, als Maßstab nehmen sollen. Dann wäre er schnell zum Ergebnis gekommen, dass das zur Zeit auf den Weg gebrachte Personal hinten und vorne nicht reicht.
So gesehen hat der BGH der Pflege einen schlechten Dienst erwiesen und diejenigen gestärkt, die Pflege als Billigpflege oder als Pflege nach Kassenlage wollen.
MfG
Pflege Cologne

Verfasst: 22.01.2010, 00:38
von thorstein
Nach meinem laienhaften Kenntnisstand sind Menschenrechte in erster Linie nur Schutzrechte des Einzelnen gegen Übergriffe des Staates. Da Pflegebedürftige diese Rechte aber nicht einklagen und auch über keine entsprechende Lobby verfügen, haben sie wohl einfach Pech gehabt.

Im SGB 11 wird zwar einerseits Pflegequalität gefordert, andererseits aber ein Schlupfloch bezüglich der Personalschlüssel verankert. Es ist offensichtlich nicht möglich, dieses Schlupfloch (juristisch) zu schliessen.

Schätzungsweise 90% aller Fixierungsmaßnahmen bestehen aus Medikamenten, für die praktisch nie ein richterlicher Beschluss vorliegt. Würde man diese Grauzone beseitigen und jede Verordnung von Sedativa oder Neuroleptika bei Demenzkranken als Fixierungsmassnahme deklarieren, hätten wir sehr schnell eine ganz andere Diskussionsgrundlage.

Zusammengefasst: Wenn es um die Rechte der Pflegebedürftigen geht, scheint mir die Gewaltenteilung in diesem Staat nicht zu funktionieren.

Unzureichende Pflege-Rahmenbedingungen sehen

Verfasst: 22.01.2010, 15:07
von Sabrina Merck
Hallo,
ich stimme uneingeschränkt zu, wenn es darum geht, die unzureichenden Pflege-Rahmenbedingungen zu beklagen.
Es kann nicht sein, dass die unzureichenden Personalbesetzungen in Heimen und Krankenhäusern mittlerweile als eine Standard hingenommen werden. Ich erwarte auch von Gerichten, dass sie sich an den gesetzlichen Vorgaben - Richter sind nur dem Gesetz unterworfen - ausrichten und nicht allein die praktischen Gegebenenheiten zur Grundlage ihrer Urteilssprüche machen.
MfG Sabrina