"Bezogen auf das Delegationsrecht möchte ich darauf hinweisen, dass in über 20 Jahren noch nie irgend ein Arzt bei mir überprüft hat, ob ich die von ihm angeordnete Behandlung auch durchführen kann. Das ganze Delegationsgefasel spielt in der Praxis also keinerlei Rolle. Aber ich soll mir um das vorfachliche Verständnis der Juristen mehr Gedanken machen?", so Thorstein in seinem durchaus eloquenten Statement, dass aber weithin nicht zu überzeugen vermag und beachtliche Rechtsdefizite aufweist.
Dies gilt freilich auf den immer noch geltenden "alten Rechtszustand" vor der beabsichtigten Neuordnung der Gesundheitsberufe bezogen, in dem gerade die haus- und fachärztliche Betreuung in stationären Einrichtungen mehr als zu wünschen übrig lässt und im Übrigen mit Blick auf das "Behandlungsteam" von namhaften (Alten)Pflegerechtlern beachtliche Rechtsirrtümer aufrechterhalten wurden, die scheinbar nicht mehr korrigierbar sind.
Es ist daher schon bezeichnend, wenn festgestellt wird, dass in zwanzig Jahren noch nie ein Arzt die erforderliche Qualifikation festgestellt und überprüft hat, ob die angeordneten Maßnahmen überhaupt durchgeführt werden können.
In der Tat wurde dieser "dogmatische Unsinn" von einigen Pflegerechtlern propagiert, in dem einerseits "Pflichtaufgaben" für die in der Altenpflege Beschäftigten kreiert wurden und andererseits Weisungs- und vor allem Überwachungsrechte und -pflichten schlicht für die Ärzteschaft schlicht negiert wurden.
Auch wenn ich nichts von dem Spruch "wir stehen ohnehin mit einem Bein im Gefängnis halte", so ist es doch gerade diese Unkenntnis, die zutiefst jedenfalls einen Juristen verunsichern muss. Denn eines ist doch klar: "wo klein Kläger, da auch kein Richter" und ich bin überzeugt, dass das Pflegerecht speziell unter Haftungsgesichtspunkten weitaus schärfere Konturen hätte, wenn und soweit einige "pflegerische Fehlschläge" zur Debatte gestanden hätten. Entscheidend ist, dass das Haftungsrecht auch präventiv daraufhin untersucht werden kann und soll, ob ggf. Haftungsrisiken drohen. Dies ist jedenfalls bei einer Praxis, die mehr oder minder nicht nur toleriert, sondern auch zunehmend von Pflegerechtlern eingefordert wurde, m.E. um so dringender einzufordern, als dass hier trotz eindeutiger rechtlicher Vorgaben (u.a. durch die Rechtsprechung) sich eine Praxis eingeschlichen hat, die rechtlich nicht haltbar ist!
Um dies beurteilen zu können, bedarf es nicht eines dreimonatigen Praktikums in der Pflege, sondern schlicht eines Blicks in das Gesetzbuch und die insoweit einschlägige Rechtsprechung.
Sich im Übrigen einem "vorfachlichen Verständnis" der Juristen und hier insbesondere der zur Entscheidung berufenen Richter entziehen zu wollen, in dem behauptet wird, "Juristen belasten eine ausnahmslos fachlich zu führende Diskussion", lässt nicht nur auf eine unglaubliche Arroganz schließen, sondern zeigt das eigentliche Dilemma auf: "Pflegerecht" denaturiert zur "weichgespülten Dogmatik" und wird zunehmend durch Pflegekundler interpretiert, die zugeben reichlich phantasievoll auf den Normen des geschrieben Rechts "spielen", ohne hierbei allerdings zu erkennen, dass ein "haftungsrechtliches Damoklesschwert" über den beruflich Pflegenden schwebt.
Insofern gewinne ich der geplanten Neuordnung und hier insbesondere den Modellvorhaben durchaus etwas Positives ab: neue Haftungshorizonte sollten beschritten werden, so dass es kein Zweifel daran aufkommen kann, wer in der Folge originär haftet (auch in Kenntnis des Umstands, dass die Haftung zunehmend allein beim Träger konzentriert wird).
Abschließend darf vielleicht angemerkt werden, dass es durchaus sinnvoll gewesen wäre, mehrfach den "Notarzt" zu rufen, denn dies hätte zu durchaus fruchtbaren Reaktionen geführt, mal ganz abgesehen davon, dass es zu keinem Zeitpunkt den Pflegekräften anheim gestellt gewesen ist, Diagnosen zu treffen, in deren Folge dann entschieden wird, ob ein Arzt hingezogen wird oder nicht!
Dass Problem war und ist nach wie vor die "Arztferne" und die daraus resultierenden Probleme einer lege artis Behandlung eines multimorbiden Alterspatienten, auch unter "behandlungspflegerischen Gesichtspunkten", da in letzter Konsequenz die "Behandlungspflege" sich als "Therapie" (!) erweist, die zunächst eine ärztliche Primärpflicht ist!
Etwas anderes rechtlich zu vertreten, hieße den Pflegenden mehr "Steine statt Brot" zu geben und somit verbleibt es in der Tat dabei, dass eine "Delegation" nicht im rechtsfreien Raum stattfindet. Aber dies dürfte künftig nach dem Willen insbesondere auch der Berufsverbände der Pflegenden keine nennenswerte Rolle mehr spielen: es steht eine Substitution an, die beileibe nicht mit einer Delegation zu verwechseln ist. Dass hier einige Pflegekundler und -rechtler Probleme haben, die Begriffe exakt einzuordnen, ist nun bedauerlich, rundet aber das Bild von einer Trivialisierung gewichtiger Rechtsprobleme ab, in denen gewissermaßener der vermeintliche pflegefachliche Sachverstand die rechtliche Expertise verdrängt resp. verdrängen soll: ein fataler Trugschluss, wie ich meine!
Ich weiß durchaus, dass die diesseitige Position nicht dem mainstream entspricht und dass meine Beiträge - auch diejenigen in der Zeitschrift PflegeRecht - von Kritik begleitet sind; dies ist zu begrüßen, aber nicht um den Preis, dass irgendeiner Lobby das Wort geredet wird und hierbei der Kern unserer eigenen Wissenschaft vernachlässigt wird.
Beharrlichkeit führt gelegentlich auch zu bescheidenen Erfolge, wie nicht zuletzt die seit Jahrzehnten geführte Debatte um die Frage, ob der Arzt die von ihm veranlassten Anordnung in der "fremden Heimdokumentation" abzuzeichnen hat, gezeigt hat. "Kenner der Szene" ist nicht verborgen geblieben, dass insbesondere nach dem Statement der Brandenburgischen LÄK diesseits "rechtlich" in Form eines kritischen Zeitschriftenbeitrages "interveniert" wurde und sodann eine moderatere Stellungnahme des LÄK erfolgte.
Und das die diesseitige Stellungnahme zur "Standortbestimmung Pflege" des Kollegen Böhme u.a. gleichsam den nervus rerum der beruflich Pflegenden getroffen hat, ist nachvollziehbar, aber dennoch diskussionswürdig so wie der Disput bezüglich der sog. "Aufsichtspflichten" über einen an Demenz Erkrankten.
Innerhalb der Rechtswissenschaften - und die Pflegerechtswissenschaft gehört als junge Teildisziplin dazu - sind wir also gut beraten, etwas professioneller und vielleicht gelegentlich auch mit dogmatisch "schwerer Kost" aufzuwarten, um nicht den vielfach gewonnenen Eindruck in der Praxis zu verstärken, als seien die Probleme durch die pflegekundlichen Expertisen mancher Verbandsfunktionäre oder Pflegedirektoren hinreichend rechtlich geklärt.
Es verbleibt bei der freilich zu ziehenden Erkenntnis, dass rechtliche Problemlösungen nicht ohne die intraprofessionelle Expertise denkbar erscheinen, so wie aber umgehrt auch der Fachdiskurs Impulse aus dem Recht erhalten kann, ohne dass hierbei der einenoder anderen Disziplin eine Dominanz zukäme.
Eine weitere "Akademisierung" der Pflegeberufe wird dies m.E. zu berücksichtigen haben, um sich nicht den Vorwurf gefallen zu müssen, eine Art Pseudowissenschaft zu betreiben, die im interprofessionellen Diskurs nicht standhalten wird. Aber wohlgemerkt: Juristen sind von einer gewissen Tendenz zur Deprofessionalisierung ihrer eigenen Wissenschaft nicht ausgenommen und insofern übe ich nicht nur Kritik an den "faktischen Gegebenheiten" in der Pflege, sondern insbesondere auch an meinen Kollegen, die diesen Prozess ganz maßgeblich begünstigt und zuweilen auch selbst initiiert haben.

So...ich habe fertig!
Mfg. Lutz Barth