Medikamentenabgabe durch Justizbedienstete zulässig?

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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NN-Justizdienst

Medikamentenabgabe durch Justizbedienstete zulässig?

Beitrag von NN-Justizdienst » 22.07.2007, 06:41

Medikamentenabgabe durch Justizbedienstete zulässig?

Hallo,
mit großem Interesse habe ich Ihre Ausführungen, in Bezug auf die Medikamentenabgabe durch nichtärztliches Personal gelesen. Ist dies so ebenfalls auf die Beamten in Justizvollzugsanstalten übertragbar? Ich hoffe das Sie mir diesbezüglich weiterhelfen können.
Ich bin Justizvollzugsbeamter der JVA in ... . In der JVA befinden sich sehr viele Gefangene, welche verschiedene Medikamente erhalten (auch mehrmals täglich). Diese Medikamente werden zu einem sehr großen Teil von den Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes (keine medizinische Ausbildung) ausgegeben. Nichtärztliches Personal bedeutet aber immer noch ausgebildetes medizinisches Personal oder liege ich da verkehrt?
Wer darf Medikamente ausgeben? Darf ich als Laie Medikamente mit zum Teil sehr starker Wirkung (u.a. auch Psychopharmaka vom Psychiater verordnet) an die Gefangenen aushändigen und deren Einnahme überwachen?
Ist dies rechtlich abgesichert? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen darf ich Medikamente ausgeben? Wer haftet im Schadensfall eines Gefangenen bei korrekt erfolgter Ausgabe meinerseits; der anordnende Arzt, der Pfleger (welcher die Medikamente stellt) oder doch ich (der nach besten Wissen und Gewissen handelt)? Da die JVA in ... auch mehrere Krankenstationen hat, ist rund um die Uhr Pflegepersonal anwesend.
Könnten Sie mir bitte schnellstmöglich Informationen zukommen lassen, in Bezug auf diese Problematik. Sie würden mir damit sehr weiterhelfen.
Vielen Dank für Ihre Bemühungen.
Hochachtungsvoll
NN-Justizdienst
(bitte um Veständnis für Anonymität)

Herbert Kunst
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Medikamentenabgabe durch Justizbedienstete zulässig?

Beitrag von Herbert Kunst » 22.07.2007, 07:35

Guten Morgen,

in dieser Homepage gibt es in der Rubrik
Die Mitwirkung des Pflegepersonals bei Maßnahmen der Diagnostik und Therapie
http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... erapie.htm
zahlreiche Beiträge, die das Miteinander von Ärzten und Nichtärzten, v.a. Pflegekräfte, beschreiben. Bitte dort alle Beiträge auswerten.

Danach ergibt sich grundsätzlich die Möglichkeit, dass auch Nichtärzte Verrichtungen zur Erledigung übertragen bekommen können, die eigentlich dem Arzt selbst obliegen. Eine typische Aufgabe, die einer Übertragung zugänglich ist, ist die Abgabe von Medikamenten.

Eine Delegation ist aber immer nur dann zulässig, wenn die tätig zu werdende Person über ausreichende theoretische und praktische Kenntnisse / Erfahrungen verfügt. Es muss immer und zu jeder Zeit mit der erforderlichen Sorgfalt gearbeitet werden. Wer diese Sorgfalt nicht gewährleisten kann, muss die Übernahme einer Verrichtung verweigern und vorgesetzte Dienstkräfte auf die Situation aufmerksam machen (= Überlastungs- bzw. Entlastungsanzeige).

Sollen Personen, die in Medizin und Pflege nicht ausgebildet sind, zu einzelnen Verrichtungen herangezogen werden, müssen sie zumindest auf dem jeweiligen Tätigkeitsgebiet ausreichend qualifiziert werden. Ohne eine solche Qualifizierung halte ich die Ausführung ärztlichen Aufgaben für nicht zulässig.

Siehe auch in diesem Forum unter
Ärztliche Tätigkeiten durch nichtärztliches Personal?
viewtopic.php?t=6157&highlight=delegation
Medikamente - Richten, Stellen, Verabreichen
viewtopic.php?t=4480&highlight=delegation
Delegationsrecht - Injektionstätigkeit
viewtopic.php?t=2895&highlight=delegation
Aufgaben von Pflegekräften und Hilfspersonal??
viewtopic.php?t=4733&highlight=delegation
Behindertenarbeit: Medikamente richten & Verabreichen
viewtopic.php?t=6876&highlight=sorgfalt
Sorgfaltspflicht & Verantwortlichkeiten
viewtopic.php?t=6807&highlight=sorgfalt
Überlastungsanzeige - Sorgfaltspflicht - Gefährliche Pflege?
viewtopic.php?t=3518&highlight=%DCberlastungsanzeige
Überlastungsanzeige - Informationen gesucht
viewtopic.php?t=225&highlight=%DCberlastungsanzeige

Wer handelt, der haftet. Das ist ein bekannter Grundsatz, der Veranlassung geben sollte, sorgfältiges Arbeiten immer und zu jeder Zeit zu gewährleisten. - Zur Haftung umfangreiche Darstellungen im Onlinebuch - http://www.pflegerechtportal.de

Gruß
Herbert Kunst
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

Karl Büser
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Justizbedienstete und die Medikamentengabe

Beitrag von Karl Büser » 22.07.2007, 16:59

Hallo NN,

Herbert K. hat eigentlich schon alle wichtigen Hinweise gegeben. Ich möchte aber doch ergänzend meine Verwunderung darüber ausdrücken, dass in einem Staatsunternehmen, wo doch eigentlich alles geordnet zugehen sollte, medizinische Laien Dienstleistungen ausführen müssen, die eigentlich in die Hand von qualifizierten Pflegekräften gehören, oder sogar Ärzten. Dies ist eigentlich auch deshalb unverständlich, weil es in der Anstalt offensichtlich Krankenstationen mit entsprechend ausgebildetem Personal gibt.
Was läuft da eigentlich schief? Ich würde als Justizbediensteter ohne entsprechende medizinische Kenntnisse und Erfahrungen keine Medikamente verabreichen! Wir wissen doch heute, was Medikamente für Schäden anrichten können: Nebenwirkungen, fehlerhafte Dosierung usw.
Siehe dazu in diesem Forum auch unter
Gesünder ohne Medikamente?
viewtopic.php?t=6880
Was sagen denn eigentlich die Betroffenen dazu, dass Justizbedienstete ohne spezielle Ausbildung Medikamente verteilen? Was die, was da abgeht?

MfG
Karl
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Cornelia Süstersell
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Medikamentenabgabe durch Justizbeamte? - eher nicht!

Beitrag von Cornelia Süstersell » 23.07.2007, 07:42

Hallo,

dass Laien, und dazu zähle ich zunächst einmal Justizbeamte, so einfach Medikamente abgeben, halte ich für mehr als bedenklich. Das muss gegenüber den vorgesetzten Dienstkräften unbedingt problematisiert werden. Es muss zumindest eine ausreichende Fortbildung und vor allem Haftungsfreistellung geben!
Warum werden offensichtlich vorhandene Pflegekräfte nicht eingesetzt? Viele Fragen, die aufgeklärt gehören!

Es grüßt
Cornelia
Ich trete für eine menschenwürdige Pflege ein und halte für es zwingend, mehr Pflegepersonal einzustellen.

Gerhard Schenker
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Einheitliche Regelung für die Medikamentenabgabe ?

Beitrag von Gerhard Schenker » 23.07.2007, 18:56

Hallo!

Ich möchte nur anregen, darüber nachzudenken, ob nicht alle Justizvollzuganstalten einheitlich verfahren müssen.
Ggf. wäre also eine übergreifende Verständigung der verschiedenen Einrichtungen angesagt. Oder man sollte sogar eine Erörterung in der Justizministerkonferenz einfordern.

MfG
Gerhard Schenker

WernerSchell
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Darf Anstaltsleiter weiter delegieren?

Beitrag von WernerSchell » 28.07.2007, 07:02

Der Fragesteller hat folgenden Text übermittelt:

Hallo,
vielen Dank für die Antworten. Die Sache hat sich mittlerweile zu unseren Gunsten geklärt. Der Anstaltsleiter hat seine Dienstanweisung zurückgenommen und läßt sie juristisch prüfen.
Eine Frage möchte ich noch geklärt wissen und vielleicht können Sie mir weiterhelfen.
Durfte der Anstaltsleiter überhaupt die Medikamentenausgabe weiterdelegieren? Er ist kein Arzt oder hat einen sonstigen medizinischen Beruf. Die Delegation der Medikamentenausgabe obliegt doch nur dem anordnenden Arzt, weil dieser ja auch die Kontrollfunktion inne hat.
Über eine Antwort diesbezüglich würde ich mich sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
NN-Justizdienst
Zuletzt geändert von WernerSchell am 29.07.2007, 07:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Herbert Kunst
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Delegation: alle Sicherheitsaspekte bedenken!

Beitrag von Herbert Kunst » 28.07.2007, 07:06

NN hat geschrieben: ... Durfte der Anstaltsleiter überhaupt die Medikamentenausgabe weiterdelegieren? Er ist kein Arzt oder hat einen sonstigen medizinischen Beruf. Die Delegation der Medikamentenausgabe obliegt doch nur dem anordnenden Arzt, weil dieser ja auch die Kontrollfunktion inne hat. ...
Hallo,

in der Heimversorgung ist es so, dass der Arzt eine Medikamentenverordnung ausstellt und die Delegation der Pflegedienstleitung überlässt. Diese muss dann verantwortlichlich prüfen, wer vom Pflegepersonal aufgrund von Kenntnissen und Fähigkeiten für die jeweilige Tätigkeit infrage kommt.

Überträgt man diese Verfahrensweise auf die Justiz, könnte der Arzt gegenüber dem verantwortlichen Leiter Anordnungen hinterlassen in der Erwartung, dass von dort die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Aber, m.E. muss der Arzt bedenken, dass der Leiter möglicherweise nicht über entsprechende fachliche Kompetenzen für eine Delegation verfügt. Daher meine ich, dass auch der Arzt in der Pflicht ist sicherzustellen, dass eine kompetente Leitungskraft die Verrichtungen weiter gibt. Dies könnte m.E. der Leiter der Krankenstation sein.

Es sind aber noch einige Fragen ungeklärt, so dass die gesamte Angelegenheit auf den Prüfstand gehört. Es sollte eine saubere Lösung gefunden werden, die Sicherheit der Patienten aber auch die Bedürfnisse der Beschäftigten, z.B. hinsichtlicher einer Haftung, gewährleistet.

Gruß
Herbert Kunst

PS.: Siehe auch in diesem Forum unter
Medikamentenabgabe durch KPH ?
viewtopic.php?t=6968
Zuletzt geändert von Herbert Kunst am 29.07.2007, 17:32, insgesamt 1-mal geändert.
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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Delegation: alle Sicherheitsaspekte bedenken!

Beitrag von Herbert Kunst » 29.07.2007, 06:57

Siehe auch
Sorgfaltspflicht & Verantwortlichkeiten
viewtopic.php?t=6807
Für menschenwürdige Pflege sind wir alle verantwortlich! - Dazu finde ich immer wieder gute Informationen unter http://www.wernerschell.de

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