Info vom 30.11.2012:
Inhaltsübersicht:
A) Wolfgang Nešković schreibt im Tagesspiegel: Der Wille des Patienten geht vor
B) 1. Lesung: Rede von MdB Dr. Martina Bunge
C) ZDF Frontal21 berichtet: Die Betreuungsfalle
D) Radiointerview mit Chefarzt Dr. Zinkler, der Positives über das Ende der Zwangsbehandlung berichtet
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A)
http://www.tagesspiegel.de/meinung/gast ... 53268.html
Wolfgang Nešković, der bis zu seiner Wahl zum Abgeordneten im Bundestag Richter am Bundesgerichtshof war, schreibt einen Gastkommentar im BerlinerTagesspiegel:
Der Wille des Patienten geht vor
Mit der Patientenverfügung wurde der Wille von Menschen in medizinischer Behandlung gestärkt. Ein Gesetzentwurf zur Zwangsbehandlung psychisch Kranker fällt weit dahinter zurück. Der Fall Mollath zeigt, wie dramatisch das sein kann, meint unser Autor, Bundestagsabgeordneter der Linken.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man Frauen mit Studienwunsch in Anstalten ruhiggestellt, später Homosexuelle. Gustl Mollath, dessen Fall in diesen Tagen öffentlich diskutiert wird, fand sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Psychiatrie wieder, weil man seine Angaben zum Schwarzgeldhandel einer Bank für wahnhaft hielt. Nun sieht es so aus, als habe der Mann recht.
Medizinische Behandlungen gegen den Willen eines Patienten zählen zu den schwierigsten Problemen der Ethik und der Rechtswissenschaft. Darf ein Arzt einen „einsichtsunfähigen“ Menschen gegen seinen erklärten Willen behandeln? Darf er es, wenn dieser Mensch aufgrund seiner psychischen Erkrankung so „einsichtsunfähig“ erscheint, dass man meint, ihn vor sich selbst schützen zu müssen?
Der richtige Ort, um diese schwierige Frage zu klären, ist in einer Demokratie das Parlament.
Der Bundestag hat in einem ganz ähnlichen Zusammenhang schon einmal umfassend diskutiert. Nach dem Gesetz über die Patientenverfügung soll bei allen „Einsichtsunfähigen“ – unabhängig von der Art ihrer Erkrankung – allein der in der Patientenverfügung festgehaltene oder mutmaßliche Wille entscheidend sein. Um diesen Willen festzustellen, sind frühere Äußerungen des Betroffenen, ethische oder religiöse Überzeugungen und andere persönliche Wertvorstellungen heranzuziehen.
Der Bundestag hatte sich mit der Patientenverfügung viel Zeit gelassen. Am Ende stand ein durchdachtes Gesetz. In dessen Begründung heißt es: „Aus dem „verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht des Menschen folgt, dass weder die Krankheit noch der ärztliche Heilauftrag ein Behandlungsrecht des Arztes begründen.“ Maßgeblich sei der Wille des Patienten. Es käme nicht darauf an, ob „die Entscheidung eines Patienten aus medizinischer Sicht als vernünftig oder unvernünftig anzusehen ist“.
Der Unvernunft verwandt ist der Wahnsinn. In den psychiatrischen Anstalten der Bundesrepublik sind Tausende „einsichtsunfähige“ Menschen (und solche, die man dafür hält) untergebracht. Wenn sie sich selbst gefährden, bringt man sie in Ruheräume. Tritt keine Ruhe ein, werden ihnen Psychopharmaka mit häufig schweren Nebenwirkungen verabreicht. Wenn sie sich trotz guten Zuredens weigern, die Medikamente einzunehmen, wird Zwang angewandt. Der Bundesgerichtshof hatte im Juli 2012 hierfür eine ausdrückliche Rechtsgrundlage verlangt. Die fehlte bislang. Deswegen stellten die Regierungsfraktionen nun einen eilig zusammengeschriebenen Entwurf vor. Er soll den Ärzten den unsicher gewordenen Arm an der Beruhigungsspritze stützen.
Im Zentrum des Entwurfs steht aber nicht mehr der verfügte oder mutmaßliche Wille des Patienten, sondern der Wille des Betreuers. Dieser kann nach der Gesetzesvorlage den medizinischen Eingriff mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilen, wenn dem widersprechenden Betreuten „erheblicher gesundheitlicher Schaden“ droht und „der Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt“.
Diese Kriterien sind bevormundend und paternalistisch. Sie ignorieren das Selbstbestimmungsrecht und entwürdigen den Patienten zum Objekt. Genau das wollte das Patientenverfügungsgesetz verhindern – und zwar nicht nur für Komapatienten und Demenzkranke, sondern für die gesamte Gruppe der „Einsichtsunfähigen“.
Wenn der Patient seinen Willen aktuell nicht klar äußern kann, muss auf dessen ausdrückliche Verfügung oder seinen mutmaßlichen Willen zurückgegriffen werden. Wir brauchen kein neues Gesetz. Der Bundestag sollte lediglich klarstellen, dass das Patientenverfügungsgesetz auch in psychiatrischen Anstalten gilt. Hinzu kommt: So mancher, der sich in einer Anstalt gegen seine Behandlung sträubt, wehrt sich zu Recht.
Der Autor ist früherer Bundesrichter, sitzt für die Linken im Bundestag und ist Justiziar der Linken-Bundestagsfraktion
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B)
http://www.linksfraktion.de/reden/eilve ... ntlichkeit
22.11.2012 zu Protokoll - Rede im Deutschen Bundestag zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von MdB Dr. Martina Bunge
Eilverfahren hinter dem Rücken der Öffentlichkeit
Sehr geehrte Damen und Herren,
uns liegt ein Gesetzentwurf zur Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht der Regierungskoalition vor. Dass wir diesen Entwurf nicht in einer normalen Sitzungswoche im Plenum debattieren, sondern in einer Haushaltswoche zu Protokoll geben, ist nur ein Aspekt in diesem parlamentarischen Verfahren, der zeigt, wie wenig Interesse die Koalition an den Betroffenen hat, für die sie diesen Antrag angeblich schreibt und wie wenig sie das Parlament achtet.
Zunächst sollte dieser Gesetzentwurf an ein laufendes Gesetzesverfahren als Änderungsantrag angehängt werden, damit dieses Thema noch weniger im Parlament und Plenum diskutiert werden kann. Dieser Änderungsantrag erreichte die Mitglieder des Rechtsausschusses als Anhang an eine Email, ohne dass in dem Emailtext etwas davon erwähnt war. Er sollte ohne Anhörung und ohne Einführung ins Parlament als völlig sachfremder Anhang des Entwurfs „eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts“ eventuell gar ohne Debatte Ende November verabschiedet werden.
Gegen dieses Verfahren wehrt sich meine Fraktion heftig.
Nun hat die Koalition einen gesonderten Gesetzentwurf vorgelegt, um wenigstens formal die Beteiligung des Parlamentes herzustellen. Im Endeffekt wird hier aber nur Hau-Ruck durch Ruck-Zuck ersetzt. Die Beteiligung des Parlamentes bleibt ebenso wie die Beteiligung der Betroffenen und Fachverbände eine Farce, wenn ein Gesetz am 22. November zu Protokoll eingebracht wird und bereits am 29. November verabschiedet werden soll. Ich habe bei der Parlamentsdokumentation nachgefragt. In den letzten drei Wahlperioden hat es genau zwei Gesetzesintiativen gegeben, die schneller durch das Parlament gepeitscht wurden: 1. Das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes 2. Das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik. Deren höchst fragliche Geschwindigkeit wurde mit einem Systemzusammenbruch begründet.
Eine solche Geschwindigkeit ist in diesem Fall aber mit nichts zu begründen. Seit den Urteilen des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts ist Zeit ins Land gegangen, ohne dass der Notstand ausgebrochen ist. Im Gegenteil. In einem Brief an den Bundestag teilt der Chefarzt der Kliniken des Landkreis Heidenheim mit, dass sich „durch die aktuelle Situation, nach der es in Baden-Württemberg keine rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung mehr gibt, in der Behandlung neue Möglichkeiten zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patienten und Behandlungsteam ergeben“. Also die mangelnde rechtlich Grundlage hat zur vertrauensvolleren Zusammenarbeit geführt und er möchte „deshalb nahe legen, zu prüfen, ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann.“ Ähnliche Aussagen finden sich auch in der Stellungnahme von Prof. Dr. Lipp der Universität Göttingen. Also von Eilbedarf kann gar nicht die Rede sein. Man muss hier das Gefühl bekommen, dieses Thema soll unter der Decke gehalten werden. Vermutlich muss sich die Koalition etwas anderes einfallen lassen, weil derzeit keine Fussballeuropameisterschaft stattfindet, bei der Deutschland gegen Italien spielt.
Wir diskutieren zurecht über Organspende und Transplantation, Beschneidungen von Jungen, über den Maßregelvollzug oder über PID ausgiebig im Parlament, weil es um ethische Fragen geht, weil es um grundlegende Rechte, wie die körperliche Unversehrtheit, wie Freiheitsrechte geht. Das betrifft genauso die Zwangsbehandlung, aber dieses Thema soll in einem Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht werden. Psychisch kranke Menschen, die sich gegen Zwangsmaßnahmen wehren, die einen gleichwertigen Anspruch auf die Wahrung ihrer Grundrechte haben, werden so zu Menschen zweiter Klasse.
DIE LINKE hat eine Kleine Anfrage zu Zwangsbehandlungen und Zwangseinweisungen gestellt – mit erschreckenden Ergebnissen. In Bayern wurden 2011 nach dem hier diskutierten Betreuungsrecht 11 mal mehr Menschen zwangseingewiesen als in Thüringen. Im Westen Deutschlands wurden zweieinhalb mal so häufig Menschen zwangseingewiesen wie im Osten. Zu Zwangsbehandlungen und ihrem Nutzen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass hier die Abweichungen zwischen den Bundesländern geringer sind. Wir müssen davon ausgehen, dass ein großer Teil von Patientinnen und Patienten, die in einem Bundesland zwangsbehandelt wurden, dies in anderen Teilen Deutschlands erspart geblieben wäre. Wenn wir gesundheitliche Unterschiede als Ursache dieser Unterschiede ausschließen, weil es für mich keinen Grund gibt, dass in Westdeutschland mehr als doppelt so viele Menschen psychisch krank sein sollen wie im Osten, müssen andere Gründe ein Rolle spielen. Das ist intensiv zu hinterfragen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an den Soziologen Michel Foucault erinnern, der Verrücktheit (Psychose) und psychische Normalität nicht als objektive Diagnosen, sondern als subjektive Urteile ansieht. Laut Foucault dient die Abgrenzung zwischen Normalität und Verrücktheit auch zur gesellschaftlichen Kontrolle. Die klinische Psychiatrie könne so als normstiftende Machtinstanz dienen.
Wir dürfen massive Einschränkungen der Freiheitsrechte, der Selbstbestimmung nicht auf offensichtlich unsichere Kriterien und mangelnde Belege der Wirksamkeit der Behandlungen stützen und so anderen Motiven die Tür öffnen. Das ist genau die Debatte, die geführt werden muss. Mit Betroffenen, mit Fachverbänden und in der Öffentlichkeit. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Deutschland wegen der Geschichte der Psychiatrie in der NS Zeit eine besondere Verantwortung trägt und mit gutem Beispiel vorangehen sollte. Dieses Gesetzesverfahren wird dem in keiner Weise gerecht.
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C)
Gestern in ZDF Frontal 21 über die Betreuungsfalle:
Den Beitrag von Minute 7:25 bis Minute 14:00 ansehen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/ ... &flash=off
Entmündigt und ausgenutzt - Menschen in der Betreuungsfalle
Wer einmal hineingerät, kommt nur schwer wieder heraus - aus der Betreuungsfalle.
1,3 Millionen Menschen, junge und alte, sind in Deutschland faktisch immer noch "entmündigt", obwohl es diesen Begriff nach dem neuen Betreuungsrecht nicht mehr gibt. Geändert hat sich in der Realität wenig. Profiteure des Missstands sind Berufsbetreuer und Rechtsanwälte. Sie haben es vor allem auf die vermögenden Fälle abgesehen, denn da gibt es das meiste Geld zu holen. So wie bei Magdalena M., die nach einer Operation kurzzeitig verwirrt war. Das führte dazu, dass sie für sieben Jahre unter Betreuung gestellt wurde.
Wer kein Geld hat, den kann es noch härter treffen. Er wird von unqualifizierten oder überforderten Ehrenamtlern betreut, die kaum in der Lage sind, sich wirklich zu kümmern. Richter, die die Betreuer eigentlich überwachen und kontrollieren sollten, ersticken in Arbeit und wollen die Fälle oft nur schnell vom Tisch haben. Besonders drastisch führt der Beitrag vor Augen, wie schlimm eine Zwangsbetreuung regelmäßig ist.
Wie viel schlimmer wäre es dann, wenn solche fälschlich "Betreuer" genannten Vormünder auch noch Herrscher in unsere Körper hinein werden sollten, indem sie gewaltsame Körperverletzung durch psychiatrische Zwangsbehandlung veranlassen können.
Genau das ist das Ziel der Gesetzgebungsinitiative der CDU/FDP Fraktionen!
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D)
Heute berichtet Radio Dreyeckland über ein Interview mit dem Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Heidenheim, Dr. Martin Zinkler. Er hat am 12.11.2012 einen offenen Brief an Frau Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger verfasst, aus dem hervorgeht, dass auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung verzichtet werden kann. Anzuhören hier http://freie-radios.net/52394
oder direkt von hier: http://vielfalter.podspot.de/files/01-z ... 1-2012.mp3
weitere Ausschnitte aus dem Gespräch:
http://freie-radios.net/mp3/20121129-ma ... -52395.mp3 - Keine medikamentöse Behandlung ohne informierte Einwilligung
http://freie-radios.net/mp3/20121129-ma ... -52396.mp3 - Zum Begriff Einwilligungsunfähigkeit
http://freie-radios.net/mp3/20121129-ma ... -52397.mp3 - Es ist unfair zu sagen: Das ist eine Stoffwechselstörung
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Werner-Fuß-Zentrum
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http://www.psychiatrie-erfahrene.de
Informieren Sie sich: http://www.patverfue.de
Der Patientenwille entscheidet
Moderator: WernerSchell