Palliative Medizin in ethischer Perspektive
Verfasst: 11.07.2012, 06:15
Immer noch aktuell!
Palliative Medizin in ethischer Perspektive
v. Hartmut Kreß
Referat auf dem 3. Düsseldorfer Palliativmedizin-Tag, 22.03.2006, „Kaiserswerther Gesundheitstage“
Quelle: Universität Bonn / Evangelisch-Theologische Fakultät >>> http://www.sozialethik.uni-bonn.de/kres ... 9_3_06.pdf <<< (html)
Kurze Anmerkung (L. Barth, 10.07.12):
„Krankheit und Sterben sind – wenn man es in überlieferter ethischer oder philosophischer Begrifflichkeit ausdrückt – ein malum, d. h. ein „Übel“, ein „Schaden“, und zwar ein sog. malum physicum, also ein körperlich erlittenes Übel. Ich denke, dass man einräumen sollte: Auch die palliative Medizin ist nicht in der Lage, aus diesem malum – aus dem körperlichen Leiden – ein bonum, ein „Gutes“ werden zu lassen. Ich sage dies, weil ich es wiederholt erlebt habe, dass von der palliativen Medizin manchmal ein Bild entworfen wird, dem zufolge sie geradezu Sinnerfahrung, Glücksmomente und Sinnerfüllung vermittelt. Hospize für Sterbende und die palliative Medizin werden bisweilen in einer Form dargestellt, die das Sterben geradezu beschönigt und verklärt. Hier kommt es meines Erachtens auf den richtigen Zungenschlag, auf den angemessenen Akzent an. Palliative Medizin oder Hospizbegleitung vermögen Leiden zu lindern und Menschen human zu begleiten. Dies ist sehr zu unterstreichen. Aber sie vermitteln keine Sinnstiftung und sollten auch nicht in der Weise dargestellt werden, dass sie eine Instanz der Sinnvermittlung seien. In der öffentlichen Präsentation der Palliativmedizin ist dies – so wie ich es wiederholt erlebt und in manchen Publikationen gelesen habe – manchmal der Fall; jedoch wird eine solche Form der Selbstdarstellung dem existentiellen Ernst und der Last von Krankheit und Sterben nicht gerecht“, so Hartmut Kreß (S. 2).
Und in der Tat: Jeder dieser Sätze muss nachhaltig ins Bewusstsein all derjenigen dringen, die sich derzeit mit Blick auf die (ärztliche) Suizidassistenz und dem Referenten-Entwurf zum Verbot der gewerbsmäßigen Suizidhilfe positionieren oder nur einfach „äußern“.
Es steht außer Frage, dass die palliative Medizin nachhaltig zu fördern und auszubauen ist.
Indes bleibt zu betonen, dass auch die Palliativmedizin resp. ihr ethischer Sonderweg sich an den Vorgaben des rechtsethischen Grundstandards unseres Grundgesetzes messen lassen muss und die Ärzteschaft wäre insgesamt gut beraten, sich von den ethischen Zwangsfesseln ihrer Standesorganisationen zu lösen.
Dass, was eine freie Ärzteschaft am wenigsten benötigt, ist eine ethische Unterweisung durch „ethische Zuchtmeister“, die da meinen, über das ärztliche Berufsrecht in die ärztliche Berufs- und Gewissensfreiheit eingreifen zu können.
Es wäre wünschenswert, wenn sich das „berühmte Drittel“ der Ärzteschaft in einem ethischen Ungehorsam erprobt, richtet doch eine handverlesene Funktionärselite über die ethische und moralische Integrität all derjenigen Kollegen, die für eine Liberalisierung der Sterbehilfe plädieren, wohlwissend darum, dass das Selbstbestimmungsrecht der Patienten nicht zur Fremdbestimmung und damit Beugung ihrer individuellen Gewissensentscheidung führen wird.
Warum, so wird hier nach wie vor die unbequeme Frage aufgeworfen, maßt sich u.a. die BÄK an, in schwierigen Grenzsituationen die Ärzteschaft zu entrechten?
Das Grundrecht der Gewissensfreiheit wiegt schwer und es ist dem hohen Berufsstand der Ärzteschaft nicht würdig, ethische Zwangsdiktate ohne erkennbare Not zu erlassen.
Der parlamentarische Gesetzgeber bleibt aufgerufen, dieser „Zwangsethisierung“ eines Berufsstandes, bei dem offen und ungeniert Grundrechte versenkt werden, Einhalt zu gebieten! Auch das „Ärzteparlament“ wird mit seinen Beschlüssen am Grundgesetz zu messen sein und ein Mehrheitsbeschluss wird nicht dadurch akzeptabel, in dem die Mehrheit meint, ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, namentlich das der Gewissensfreiheit, seines wesentlichen Kerns zu „berauben“!
Diese scharfe Kritik möchte ich nicht als Polemik verstanden wissen, denn es geht um für selbstverständlich gehaltene Grundrechte, die auch von den Ärztefunktionären in ihrer vollen Tragweite erfasst werden sollten. Dass dies möglich ist, zeigt die Problematik des Schwangerschaftsabbruchs, die eine adäquate Regelung im ärztlichen Berufsrecht erfahren hat.
Was also ist gefordert?
Die Zeit der „Sonntagsreden“ dürfte vorbei sein und auch namhafte Mediziner und Ethiker, die für eine Liberalisierung der Sterbehilfe-Regelung im ärztlichen Berufsrecht plädieren, sollten die Diskussion etwas vitaler führen, da ihre Statements – jedenfalls in der Fachöffentlichkeit und damit in der eigenen Profession – geflissentlich „überhört“ werden.
Es ist nicht damit gedient, gebetsmühlenartig zu betonen, dass die Palliativmedizin insgesamt flächendeckend ausgebaut gehört. Hierdurch werden Selbstverständlichkeiten betont, über die ernsthaft kein Dissens besteht. Entscheidend sind und bleiben die rechtethischen Defizite, die aus der Sicht insbesondere der schwersterkrankten und sterbenden Patienten, aber auch aus der Sicht einer freien Ärzteschaft zu beklagen sind.
Palliative Medizin in ethischer Perspektive
v. Hartmut Kreß
Referat auf dem 3. Düsseldorfer Palliativmedizin-Tag, 22.03.2006, „Kaiserswerther Gesundheitstage“
Quelle: Universität Bonn / Evangelisch-Theologische Fakultät >>> http://www.sozialethik.uni-bonn.de/kres ... 9_3_06.pdf <<< (html)
Kurze Anmerkung (L. Barth, 10.07.12):
„Krankheit und Sterben sind – wenn man es in überlieferter ethischer oder philosophischer Begrifflichkeit ausdrückt – ein malum, d. h. ein „Übel“, ein „Schaden“, und zwar ein sog. malum physicum, also ein körperlich erlittenes Übel. Ich denke, dass man einräumen sollte: Auch die palliative Medizin ist nicht in der Lage, aus diesem malum – aus dem körperlichen Leiden – ein bonum, ein „Gutes“ werden zu lassen. Ich sage dies, weil ich es wiederholt erlebt habe, dass von der palliativen Medizin manchmal ein Bild entworfen wird, dem zufolge sie geradezu Sinnerfahrung, Glücksmomente und Sinnerfüllung vermittelt. Hospize für Sterbende und die palliative Medizin werden bisweilen in einer Form dargestellt, die das Sterben geradezu beschönigt und verklärt. Hier kommt es meines Erachtens auf den richtigen Zungenschlag, auf den angemessenen Akzent an. Palliative Medizin oder Hospizbegleitung vermögen Leiden zu lindern und Menschen human zu begleiten. Dies ist sehr zu unterstreichen. Aber sie vermitteln keine Sinnstiftung und sollten auch nicht in der Weise dargestellt werden, dass sie eine Instanz der Sinnvermittlung seien. In der öffentlichen Präsentation der Palliativmedizin ist dies – so wie ich es wiederholt erlebt und in manchen Publikationen gelesen habe – manchmal der Fall; jedoch wird eine solche Form der Selbstdarstellung dem existentiellen Ernst und der Last von Krankheit und Sterben nicht gerecht“, so Hartmut Kreß (S. 2).
Und in der Tat: Jeder dieser Sätze muss nachhaltig ins Bewusstsein all derjenigen dringen, die sich derzeit mit Blick auf die (ärztliche) Suizidassistenz und dem Referenten-Entwurf zum Verbot der gewerbsmäßigen Suizidhilfe positionieren oder nur einfach „äußern“.
Es steht außer Frage, dass die palliative Medizin nachhaltig zu fördern und auszubauen ist.
Indes bleibt zu betonen, dass auch die Palliativmedizin resp. ihr ethischer Sonderweg sich an den Vorgaben des rechtsethischen Grundstandards unseres Grundgesetzes messen lassen muss und die Ärzteschaft wäre insgesamt gut beraten, sich von den ethischen Zwangsfesseln ihrer Standesorganisationen zu lösen.
Dass, was eine freie Ärzteschaft am wenigsten benötigt, ist eine ethische Unterweisung durch „ethische Zuchtmeister“, die da meinen, über das ärztliche Berufsrecht in die ärztliche Berufs- und Gewissensfreiheit eingreifen zu können.
Es wäre wünschenswert, wenn sich das „berühmte Drittel“ der Ärzteschaft in einem ethischen Ungehorsam erprobt, richtet doch eine handverlesene Funktionärselite über die ethische und moralische Integrität all derjenigen Kollegen, die für eine Liberalisierung der Sterbehilfe plädieren, wohlwissend darum, dass das Selbstbestimmungsrecht der Patienten nicht zur Fremdbestimmung und damit Beugung ihrer individuellen Gewissensentscheidung führen wird.
Warum, so wird hier nach wie vor die unbequeme Frage aufgeworfen, maßt sich u.a. die BÄK an, in schwierigen Grenzsituationen die Ärzteschaft zu entrechten?
Das Grundrecht der Gewissensfreiheit wiegt schwer und es ist dem hohen Berufsstand der Ärzteschaft nicht würdig, ethische Zwangsdiktate ohne erkennbare Not zu erlassen.
Der parlamentarische Gesetzgeber bleibt aufgerufen, dieser „Zwangsethisierung“ eines Berufsstandes, bei dem offen und ungeniert Grundrechte versenkt werden, Einhalt zu gebieten! Auch das „Ärzteparlament“ wird mit seinen Beschlüssen am Grundgesetz zu messen sein und ein Mehrheitsbeschluss wird nicht dadurch akzeptabel, in dem die Mehrheit meint, ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, namentlich das der Gewissensfreiheit, seines wesentlichen Kerns zu „berauben“!
Diese scharfe Kritik möchte ich nicht als Polemik verstanden wissen, denn es geht um für selbstverständlich gehaltene Grundrechte, die auch von den Ärztefunktionären in ihrer vollen Tragweite erfasst werden sollten. Dass dies möglich ist, zeigt die Problematik des Schwangerschaftsabbruchs, die eine adäquate Regelung im ärztlichen Berufsrecht erfahren hat.
Was also ist gefordert?
Die Zeit der „Sonntagsreden“ dürfte vorbei sein und auch namhafte Mediziner und Ethiker, die für eine Liberalisierung der Sterbehilfe-Regelung im ärztlichen Berufsrecht plädieren, sollten die Diskussion etwas vitaler führen, da ihre Statements – jedenfalls in der Fachöffentlichkeit und damit in der eigenen Profession – geflissentlich „überhört“ werden.
Es ist nicht damit gedient, gebetsmühlenartig zu betonen, dass die Palliativmedizin insgesamt flächendeckend ausgebaut gehört. Hierdurch werden Selbstverständlichkeiten betont, über die ernsthaft kein Dissens besteht. Entscheidend sind und bleiben die rechtethischen Defizite, die aus der Sicht insbesondere der schwersterkrankten und sterbenden Patienten, aber auch aus der Sicht einer freien Ärzteschaft zu beklagen sind.