Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Personen, die unter Betreuung stehen und im Pflegeheim untergebracht sind
In einer Mailingliste wurde angefragt, wie sich ein ehrenamtlicher Betreuer im Zusammenhang mit vom Heim vorgeschlagenen und vom zuständigen Arzt bestätigten freiheitsentziehenden Maßnahmen (z.B. Fixierung, Bettgitter) zu verhalten hat. Dazu habe ich die nachfolgende Antwort gegeben, die hier (anonymisiert) vorgestellt wird:
Sehr geehrter Herr ...,
soweit Ihre Aufgabengebiete das hergeben, sind Sie grundsätzlich allein für die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB zuständig. Pflegekräfte und Ärzte liefern Ihnen mit Ihren Einschätzungen und Vorschlägen nur die Grundlage dafür, sich - am Wohl des Betroffenen ausgerichtet (§ 1906 Abs. l BGB) - entscheiden zu können.
Soweit mit solchen Maßnahmen die Freiheit über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig entzogen werden soll, ist vom Betreuer die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen (§ 1906 Abs. 2 BGB). Wenn Gefahr im Verzuge besteht, kann (oder muss) zunächst auch ohne gerichtliche Genehmigung gehandelt werden. Allerdings ist dann die Genehmigung unverzüglich nachzuholen.
Ohne Betreuerbeteiligung sind Maßnahmen nach § 1906 BGB nur ausnahmsweise zur unmittelbaren Gefahrenabwehr möglich. Die gesetzlichen Anforderungen müssen daran anschließend aber unverzüglich Beachtung erfahren. Maßnahmen - außerhalb der Fälle von Gefahr im Verzug - sind ohne Betreuer und Betreuungsgericht rechtswidrig.
In der konkret beschriebenen Angelegenheit müssen Sie sich umfassend darüber informieren, welche Maßnahmen wirklich zum Wohl des Betroffenen notwendig sind. Es geht hierbei um vielerlei Abwägungen: Können nicht auch andere weniger eingreifende Maßnahmen die Gefahren minimieren? Sie müssen dabei auch ausschließen, dass es sich hier nicht um pflegeerleichternde Maßnahmen handelt. Nicht selten haben freiheitsentziehende Maßnahmen mit personellen Engpässen zu tun.
Ich mache seit Jahren darauf aufmerksam, dass wir in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen einen Pflegenotstand haben, den es zu beheben gilt. Solche Notstandssituationen dürfen aber nicht zu Lasten der pflegebedürftigen Menschen kaschiert werden. Bei unserem Pflegetreff am 27.04.2010 in Neuss-Erfttal wurde erneut deutlich, dass der Pflegenotstand mittlerweile katastrophale Formen annimmt:
viewtopic.php?t=12279
Insoweit sehe ich auch die Betreuer in der Pflicht, solchen Zuständen in geeigneter Weise entgegen zu treten. Denn schließlich haben pflegebedürftige Menschen einen vertraglichen Anspruch auf angemesse Pflege und Betreuung (SGB XI). Wenn dem nicht Rechnung getragen werden kann, muss man sich schlicht zu Wort melden.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell - http://www.wernerschell.de
http://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de
Freiheitsentziehende Maßnahmen - wer entscheidet ?
Moderator: WernerSchell
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WernerSchell
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Freiheitsentziehende Maßnahmen - wer entscheidet ?
Zuletzt geändert von WernerSchell am 03.05.2010, 05:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Lutz Barth
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Nachgefragt...
Eine Nachfrage drängt sich nach dem mitgeteilten Sachverhalt insofern auf, wer denn nun was bestätigt hat. Dieser gewichtige Umstand ergibt sich nicht aus dem Sachverhalt, wenngleich wohl davon ausgegangen wird, dass hier das Betreuungsgericht eine freiheitsbeschränkende Maßnahme "bestätigt" hat. Zugleich stellt sich dann die Frage, wer die entsprechende Maßnahme bei Gericht beantragt hat.
Mfg. Lutz Barth
Mfg. Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!
Dazu hätte ich auch eine Bemerkung zu machen:
Welchen Nachweis müssen den Betreuer erbringen, dass sie sich mit solchen Fragen überhaupt auseinandergesetzt haben? Was glauben sie, ist die Regel: der Betreuer, der zum Beispiel über jede Medikationsänderung informiert werden will, oder der Betreuer, der solche Entscheidungen grundsätzlich den Pflegekräften und Ärzten überlässt?
Auch hier wird - wie so oft - die Ausnahme als Regel verkauft. Wer interessiert sich schon für die Realität.
Es gibt übrigens überhaupt keine freiheitsentziehende Massnahme, die man letztendlich nicht auf Personalmangel zurückführen könnte. Würde man anstatt der Massnahme stets eine Pflegekraft abstellen, bräuchte es überhaupt keine freiheitsentziehende Massnahmen. In einem Pflegeheim müßte man dann eben 30-40 Sitzwachen einsetzen, damit keine Bettgitter (euphemistisch: Bettschutz) mehr gebraucht werden. So wäre die Problematik konsequent zu Ende gedacht.
Welchen Nachweis müssen den Betreuer erbringen, dass sie sich mit solchen Fragen überhaupt auseinandergesetzt haben? Was glauben sie, ist die Regel: der Betreuer, der zum Beispiel über jede Medikationsänderung informiert werden will, oder der Betreuer, der solche Entscheidungen grundsätzlich den Pflegekräften und Ärzten überlässt?
Auch hier wird - wie so oft - die Ausnahme als Regel verkauft. Wer interessiert sich schon für die Realität.
Es gibt übrigens überhaupt keine freiheitsentziehende Massnahme, die man letztendlich nicht auf Personalmangel zurückführen könnte. Würde man anstatt der Massnahme stets eine Pflegekraft abstellen, bräuchte es überhaupt keine freiheitsentziehende Massnahmen. In einem Pflegeheim müßte man dann eben 30-40 Sitzwachen einsetzen, damit keine Bettgitter (euphemistisch: Bettschutz) mehr gebraucht werden. So wäre die Problematik konsequent zu Ende gedacht.
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WernerSchell
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Re: Nachgefragt...
Sehr geehrter Herr Barth,Lutz Barth hat geschrieben: .... Eine Nachfrage drängt sich nach dem mitgeteilten Sachverhalt insofern auf, wer denn nun was bestätigt hat. Dieser gewichtige Umstand ergibt sich nicht aus dem Sachverhalt, wenngleich wohl davon ausgegangen wird, dass hier das Betreuungsgericht eine freiheitsbeschränkende Maßnahme "bestätigt" hat. Zugleich stellt sich dann die Frage, wer die entsprechende Maßnahme bei Gericht beantragt hat. ...
in der Texteinstellung wurde leiter ein Wort vergessen, nämlich "Arzt". Es wurde jetzt in den Text eingeschoben. Der Arzt hatte also die Notwendigkeit bestätigt und das Gericht war noch nicht beteiligt.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell
