Aufklärung statt Dialog in der Debatte um Patientenverfügung

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

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Lutz Barth
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Aufklärung statt Dialog in der Debatte um Patientenverfügung

Beitrag von Lutz Barth » 15.01.2009, 11:00

Aufklärung statt Dialog in der Debatte um Patientenverfügung

Auch das Jahr 2009 wird ganz im Zeichen der Diskussion um den Wert eines Patientenverfügungsgesetzes stehen und es ist zu hoffen, dass die Diskussion endlich ihrer Mythen entkleidet wird. Ich mag mich täuschen, aber gerade das zurückliegende Jahr hat bei mir persönlich den Eindruck entstehen lassen, dass der wissenschaftliche Diskurs über die bedeutsamen Fragen am Lebensende und der damit verbundenen Frage nach einem etwaigen Behandlungsabbruch ärztlich gebotener und im Zweifel durchaus sinnvoller Therapie ihrer rationalen Beurteilungskriterien sukzessive beraubt wurde. Allenthalben wird der „Ethik und Kultur des Sterbens“ das Wort geredet und allein der unreflektierte Verweis auf die „Ethik“ und die „Würde“ scheint einzig nur dem Ziel zu dienen, sich nicht einer fundierten Diskussion stellen zu müssen. Zugegeben: es mag leichter erscheinen, uns an den Visionen von namhaften Ethikern teilhaben zu lassen, als diese damit zu konfrontieren, dass sie einige der zentralen Achsen in der Wertedebatte verlustig gegangen sind. Die Gegner eines Patientenverfügungsgesetzes haben gleichsam alles auf eine Karte gesetzt: die „Ethik“ als Bollwerk gegen einem egozentrischen Individualismus, von dem der scheinbar autonome Patient virusartig bedroht zu sein scheint.

Aber dennoch: muss es uns nicht nachdenklich stimmen, wenn in einzelnen Verlautbarungen und berufsständischen Berufsordnungen der Wille des Patienten ad absurdum geführt wird und dies auch noch expressis verbis dort nachzulesen ist?

Die „Ethik“ der Alterspsychiatrie ist hiervon nicht ausgenommen und insofern ist es nachhaltig zu begrüßen, wenn etwa die DGGG e.V. auf ihrer Homepage zu einem Dialog aufgerufen hat, nachdem diese sich mit einer Stellungnahme zu Worte gemeldet hat. Wir haben darüber berichtet und nun harren wir der Dinge, die da kommen werden. Kann aber der Dialog sinnvoll geführt werden, wenn es in der Debatte zunächst darum gehen muss, schlicht und ergreifend über verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeiten aufzuklären? Anlass zu dieser kritischen Nachfrage besteht allemal, wird doch der Versuch unternommen, einen Dialog ganz ohne eine verfassungsrechtliche Fundierung der streitigen Fragen zu führen – man könnte fast meinen, dass die Berufung auf die „Ethik“ von den Argumentationsnöten derjenigen ablenken soll, die sich vehement gegen ein Patientenverfügungsgesetz stemmen.

Wie dürfen wir etwa die folgende Passage, entlehnt aus einer Grundposition werten, die da lautet:

„Sofern bei einem schwer Demenzkranken Anzeichen von Lebenswillen vorhanden sind, wird hierdurch die Bindungswirkung einer behandlungsablehnenden Patientenverfügung außer Kraft gesetzt.“

Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: dieser Passus ist nicht der Stellungnahme des DGGG e.V. entlehnt, sondern der Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie e.V. (DGGPP) unter dem Titel Ethische Aspekte der Alterspsychiatrie (Ziff. 2.3), die auf der Webseite der DGGPP nachgelesen werden kann.

Die Frage der Urheberschaft ist aber letztlich nicht von entscheidender Bedeutung; bedeutsamer ist vielmehr der sich daraus ergebende Schluss, dass über Gebühr Rechtsirrtümer in der Debatte zu beklagen sind, über die wir eigentlich nicht (!) mehr zu diskutieren haben. Selbstverständlich wird die Patientenverfügung eines Demenzpatienten nicht (!) außer Kraft gesetzt und diejenigen, die sich vielleicht an einen bedeutungsschwangeren Passus in der Rechtsprechung des BVerfG erinnern, wonach das Recht weithin das übernimmt, was der Arztethik entspricht, müssen sich eines besseren belehren lassen. Eine so verstandene und fehlinterpretierte „Ethik“ wird nicht zum Maßstab des Rechts und noch weniger des Verfassungsrechts erhoben, wobei rein vorsorglich darauf hinzuweisen ist, dass hier auch dem Gesetzgeber die Grenzen gezogen werden, mag dieser auch einen großen Beurteilungsspielraum für sich reklamieren können. Das Recht, eine ärztlich indizierte Behandlung abzulehnen, steht selbstverständlich auch einem Demenzpatienten zu, zumal wenn dieser in gesunden Tagen diesbezüglich sich in einer Patientenverfügung geäußert bzw. hinreichend deutlich seinen Willen artikuliert hat. Die Fokussierung auf die „ethische Debatte“ führt unter Umständen dazu, dass der Blick für das Wesentliche eingetrübt wird und hier ein „ethischer Standard“ generiert werden soll, der gleichsam seine Ausstrahlungswirkung auf das Recht nicht verfehlen soll.

Ob diese beklagenswerten Rechtsirrtümer letztlich einem Informationsdefizit oder – was freilich schwerer wiegen würde – einer bewussten Ausblendung verfassungsrechtlicher Selbstverständlichkeiten geschuldet sind, kann einstweilen unbeantwortet bleiben, um die Fronten in dem „Kulturkampf“ nicht weiter zu erhärten.

Aber auf eines darf sicherlich geschlossen werden: anlässlich der aktuellen Debatte ist mehr denn je Aufklärung geboten und zwar – dies sei hier besonders betont – frei von religiöser Einflussnahme!

Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!

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