Christliche Patientenverfügung - Streit um Qualität

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Christliche Patientenverfügung - Streit um Qualität

Beitrag von Presse » 02.09.2011, 06:59

Hospizstiftung rügt Christliche PV als untauglich – Streit um Qualität

1.) Wirkungslosigkeit von Patientenverfügungen durch Qualitätsmängel
2.) Dt. Hospizstiftung und evangelisches Magazin chrismon im Streit um christliche PV
3.) Wo sind qualitativ hochwertige PV-Materialien erhältlich?


Wirkungslosigkeit von Patientenverfügungen durch Qualitätsmängel

Heute vor zwei Jahren trat das „Patientenverfügungsgesetz“ (PatVerfG) in Kraft. Es regelt die Verbindlichkeit dieser vorsorglichen Willenserklärung. Seitdem wird immer wieder auf Qualitätsmängel von Patientenverfügungen (PV) hingewiesen, so dass diese doch nicht wirksam werden können oder gar riskant sind. So hier im focus-Artikel „Weshalb nicht jede PV wirksam ist“ http://www.focus.de/finanzen/recht/tid- ... 27308.html oder im Spiegel-Artikel zum „Fluch“ einer notariellen, zu eng abfassten Patientenverfügung „Er konnte noch einen Hauch zuviel“ http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 86,00.html

Hintergrund: Meist bleibt die Situation einer Demenz oder schweren Hirnschädigung unterhalb der Grenze des Bewusstseinsverlust, d.h. wenn man noch selbst schlucken kann, außen vor.

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat diesbezüglich die von ihm angebotenen Modelle an Erfordernisse der Praxis angepasst und nochmals verbessert. Die online ausfüllbare Standard-Patientenverfügung 2011 ist seit voriger Woche verfügbar: http://standard-patientenverfuegung.de/ ... uegung.php

Auch der Fragebogen für eine Optimale Patientenverfügung des HVD wurde im August 2011 aktualisiert. Noch differenzierter ausformuliert als bisher (Version 2010) wurden in der neuen Version 2011 http://patientenverfuegung.de/files/pdf ... ktuell.pdf für eine Optimale Patientenverfügung jetzt v. a. die (ergebnisoffenen) Optionen zur Frage 1, welche die Notfallsituation behandelt und zur Frage 3 zu Gehirnverletzung und Koma.

Deutschlandweit medizinisch-fachkundige Beratung und Aktualisierung mit Überprüfung bietet neben dem Humanistischen Verband Deutschlands die Deutsche Hospizstiftung an (letztere ist eine mitgliederstarke Patientenschutzorganisation für Schwerstkranke und Sterbende, welche – wie die Kirchen – jede Form so genannter aktiver Sterbehilfe entschieden ablehnt).

Die beiden gemeinnützigen Organisationen halten zudem bundesweite Hinterlegungsstellen vor, siehe des Humanistischen Verbandes in Berlin http://www.patientenverfuegung.de/notfallpass und der Deutschen Hospizstiftung in Dortmund. http://www.hospize.de/service/bundeszen ... ister.html

Dt. Hospizstiftung und evangelisches Magazin chrismon im Streit um christlichen PV

Erneut besonders in die Kritik geraten sind die Materialien der beiden Kirchen (aktualisiert 2011) und zwar in einer ausführlichen Stellungnahme, welche die Deutsche Hospizstiftung vergangene Woche verbreitet hat.

Auf 27 Seiten wird darin vor Augen geführt, dass die christlichen Kirchen nicht willens und in der Lage sind, sich der nunmehr geltenden Rechtslage und auch den medizinethischen Desideraten anzupassen. Von ihren Positionen, die sie gegen die Verabschiedung des jetzt geltenden PatVerfG erarbeitet hatten, wollen sie nicht abrücken. Das mag verständlich und berechtigt sein. Schwer wiegt allerdings, dass eben dies in der Anleitung zur Christlichen PV nicht offengelegt wird. Entsprechend fällt das analytische Urteil der Stellungnahme der Hospizstiftung äußerst negativ aus:

„Die Christliche Patientenverfügung erweist sich nach alledem als problematisch: Sie verkennt grundlegende rechtliche Wertungen, legt aber zugleich nicht offen, ob es sich hierbei um ein tatsächliches Missverständnis oder um den Versuch einer Korrektur auf theologisch-ethischer Basis handelt. Der kaum zu behebende konstruktive Grundfehler dürfte hier darin liegen, eine Anleitung geben zu wollen, die sich einerseits explizit auf die Glaubensgrundlagen bezieht, andererseits aber diese in eine so enge Verbindung mit den weltlichen Rechtslagen setzt, dass eine Trennung bzw. Unterscheidung kaum möglich ist…. "

Einer der beiden Autoren, Prof. Dr. jur. Wolfram Höfling, hatte bereits in einem Interview mit der evangelischen Zeitschrift chrismon plus auf die eklatanten Mängel hingewiesen. Nach der Autorisierung durch ihn wurde Höfling mitgeteilt, dass das Interview aufgrund einer überraschenden Entscheidung der chrismon-Chefredaktion nicht publiziert wird. Es ist nun auf der Internetseite der Deutschen Hospizstiftung, dessen stellvertretender Vorstandsvorsitzender Höfling ist, nachzulesen.

Auszug:

chrismon: Sie kritisieren die neue Christlichen Patientenverfügung. Warum?

Wolfram Höfling: Gut finde ich, dass die Broschüre zum Nachdenken über das wichtige Thema Patienten-vorsorge anregt und dazu eine christliche Orientierung vermittelt. Aber darüber hinaus ist sie für die Praxis kaum tauglich. Das Formular zur Patientenverfügung hilft in schwierigen Situationen nicht weiter.

chrismon: Warum nicht?

Höfling: … Zum Ankreuzen werden Optionen angeboten, die im Endstadium weitgehend unsinnig sind. Wer im Sterben liegt, bekommt keine Dialyse oder künstliche Ernährung mehr – ganz unabhängig vom verfügten Willen. Ein Arzt, der solche nicht-indizierten Maßnahmen ergreift, würde Körperverletzung begehen....

… so ein Formular erweckt den Eindruck, als stünde das Wichtigste drauf. Wenn ich am Ende dann Platz für Ergänzungen anbiete, ist mir das zu wenig. Zumal die Handreichung kaum weiterhilft. Zum Wachkoma werden zwar christliche Positionen erläutert. Ansonsten spart die Broschüre aber zu viele Situationen aus, die für die Praxis relevant sind. …

chrismon: Aber so ein Formular ist doch besser als nichts, oder?

Höfling: … Für eine gute Patientenverfügung muss man sich aber fachkundig und persönlich beraten lassen. … Ein Beratungsgespräch dauert mindestens zwei, drei Stunden. Wichtig ist, dass es das komplexe Ganze in den Blick nimmt.…

chrismon: Was für Folgen kann eine unzureichende Verfügung haben?

Höfling: … Fehlt eine vernünftige Anleitung, muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden. Zwischen Ärzten, Pflegenden und Angehörigen führt das nicht selten zu Auseinandersetzungen. Der mutmaßliche Wille kann auch ein Einfallstor für Fremdbestimmung sein. ..."

Quelle siehe hier (S. 26 das vollständige Interview mit Prof. Höfling, welches nach dem Rückzieher des evangelischen Magazins chrismon nun von ihm selbst veröffentlicht wurde): http://www.hospize.de/docs/hib/Patiente ... 2_2011.pdf

Die Redaktion der Zeitschrift diesseits nahm den Vorfall wiederum zum Anlass für eine Berichterstattung und bat die EKD sowie die Deutsche Bischofskonferenz um eine Stellungnahme. Als Ergebnis hält die Redaktion von diesseits fest:

„Weder die Evangelische Kirche in Deutschland noch die Deutsche Bischofskonferenz wollten sich als Herausgeber der Christlichen Patientenvorsorge inhaltlich zur DHS-Kritik gegenüber diesseits äußern. EKD-Pressesprecher Reinhard Mawick sagte, dass man jetzt nicht Stellung beziehen wollte. Ähnlich, in der Tendenz aber offensiver, die Antwort seines Kollegen bei der Bischofskonferenz. DBK-Pressesprecher Matthias Kopp sagte, dass man sich nach Rücksprache mit der EKD aktuell nicht äußern wolle. „Die doch umfangreiche Ausarbeitung der Hospizstiftung bedarf einer genaueren Prüfung, auch in juristischer Hinsicht", heißt es in seiner Antwort auf die Anfrage der Redaktion …“

Quelle: diesseits online vom 1. September 2011 http://www.diesseits.de/perspektiven/fü ... ung-gesetz

Wo sind qualitativ hochwertige PV-Materialien erhältlich und wie werden sie verbreitet?

Während die Hospizstiftung ihre PV-Angebote nur ihren Mitgliedern zugänglich macht, bietet der Humanistische Verband seine Materialien nicht nur für jeden als kostenfreien Download oder zur Bestellung im Internet ( http://www.patientenverfuegung.de ) an, sondern verteilt sie auch auf Kongressen oder Infotagen.

Im September werden die aktuellen PV-Materialien des Humanistischen Verbandes in Papierform u. a. vorgestellt und angeboten auf der Rehacare-Fachmesse und Kongress vom 21.-24. September in Düsseldorf mit dem Schwerpunkt "Leben und Wohnen mit Demenz" http://www1.rehacare.de/cgi-bin/md_reha ... s_1908.htm

Hinweis auf einen Fachvortrag am 22. September dazu (PV bezogen auf Demenz):
14.45 – 16.15 Uhr, Rehacare-Messe Düsseldorf, CCD Süd, Raum 2 (Session VI) http://www.messe-duesseldorf.de/rehacar ... ihe_06.pdf

Weitere Standard-Angebote, z. B. des Bundesministeriums der Justiz und der Hamburger Ärztekammer finden Sie im Überblick hier (mit Vergleichsangaben zu Reichweite, Aufwand, Individualität, Kosten und mit Link zum jeweiligen Anbieter). http://www.patientenverfuegung.de/vergleichstabelle

Quelle: Mitteilung http://www.patientenverfuegung.de vom 01.09.2011

valenta
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Rückschritt statt Anpassung an neue Erfordernisse

Beitrag von valenta » 04.09.2011, 23:05

Gut und wichtig, dass das Thema noch mal aufgegriffen wird. Ich habe mich derzeit ziemlich intensiv damit beschäftigt und sehr geärgert.

Bei der Vorstellung der christlichen Vorsorgematerialien Anfang des Jahres betonte Erzbischof Zollitsch für die Deutsche Bischofskonferenz, „einen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen etwa bei schwerer Demenz oder bei Wachkoma lehne die katholische Kirche Quelle: Ärzteblatt http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=44430
Tatsächlich muss mit der christlichen PV ein Demenzkranker künstlich bis zum Tod ernährt und auch dialysiert werden: Auch die evangelische Kirche hat dem offensichtlich (zähneknirschend?) zugestimmt. Das mag schwer verständlich sein, ist aber natürlich prinzipiell legitim. Unentschuldbar, unmoralisch und auch unchristliche ist m. E. allerdings das offensichtliche Täuschungsmanöver, welches in der Handreichung der christlichen Patientenvorsorge wie folgt formuliert ist:

„Die vorliegende Handreichung mit ihrem Formular ist eine Überarbeitung der 1999 in erster und 2003 in zweiter Auflage veröffentlichten CHRISTLICHEN PATIENTENVERFÜGUNG …Die erneute Überarbeitung wurde notwendig durch das am 1. September 2009 in Kraft
getretene `Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts´. Die dort erfolgte umfassende rechtliche Neuregelung machte zahlreiche Änderungen erforderlich….“

Tatsächlich aber erfolgt gar keine Änderung, die sich nun auf das neue Gesetz (mit seiner fehlenden Reichweitenbeschränkung!) bezieht. Auch die anderen Vorsorgemöglichkeiten, Vollmacht und Betreuungsverfügung, die jetzt angeblich die gravierende Neuerung im Vergleich zum christlichen Modell von 2003 darstellen, gab es auch schon vorher. Was soll dann also diese völlig irreführende Ansage, man habe dem Erfordernis des in Kraft getretenen Gesetzes genügt? In Wirklichkeit will man diesem ja gerade Kontra bieten – und die Interessenten gleichzeitig in die Irre leiten, sie wären jetzt auf dem rechtlich neuesten Stand?

Für die öffentliche Aufklärung gebührt der Dt. Hospizstiftung und Medien wie der Zeitschrift diesseits Dank.

Zudem noch: Es bleibt das Geheimnis der Kirchen, warum die Vorsorgevollmacht jetzt in den neuen Materialien 2011 auf gesundheitliche Angelegenheiten beschränkt ist und man jetzt für alle anderen Angelegenheiten (Vertragsabschlüsse, Antragstellung, Mietangelegenheiten usw.) ausdrücklich an andere verweisen wird. Diesbezüglich war das kirchliche Vorläufermodell 2003 immerhin weit reichender und nutzerorientierter als das jetzige. Das ist alles in allem ein sehr bedenklicher Rückschritt.

R. V.

Lutz Barth
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"Klappern gehört zum Geschirr"!

Beitrag von Lutz Barth » 06.09.2011, 08:41

„Christliche Patientenvorsorge“

Ein Kurzkommentar zur

Stellungnahme der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung
zur Christlichen Patientenvorsorge durch Patientenvollmacht, Betreuungsverfügung, Behandlungswünsche und Patientenverfügung (22.08.11)


von Dr. iur. Steffen Augsberg
Prof. Dr. iur. Wolfram Höfling, M.A .


v. Lutz Barth (06.09.11) >>> http://www.iqb-info.de/Anmerkung_Barth_ ... g_2011.pdf <<<
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Wo sind Patientenverfügungen erhältlich?

Beitrag von Lutz Barth » 06.09.2011, 08:56

Es gibt eine Vielzahl von Adressen (gerade auch im Internet), die Formulierungsvorschläge von Patientenverfügungen vorhalten.

Es bleibt der Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger anheim gestellt, sich aus der Vielzahl der Angebote ihre/seine "Patientenverfügung" zu erstellen.

Die "Qualität" einer Patientenverfügung richtet sich in erster Linie danach, ob der Patient es verstanden hat, seine individuelle Binnenperspektive, die er mit einem solchen Dokument verbindet, darzulegen. Den gläubigen Christen freilich bleibt es unbenommen, sich auch an den Vorschlägen an der Handreichung der Kirchen zu orientieren.

Die individuelle Patientenverfügung erscheint mir nicht der rechte Ort zu sein, die seit Jahrtausenden anschwellende Debatte über die "ars moriendi" entscheiden zu wollen. Maßgeblich ist der "Wille" des Patienten und sofern er meint, sich hierbei von den zentralen Aussagen der Kirche leiten lassen zu wollen, haben wir dies schlicht zu respektieren.

Der "freie Wettbewerb" allerdings macht es möglich, für seine "Produkte" zu werben; dies ist legitim, mal ganz davon abgesehen, dass sich hier ein ökonomisch interessanter Markt aufgetan hat :roll:
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Kritik berechtigt?

Beitrag von Lutz Barth » 06.09.2011, 09:07

Nachgeliefert

Warum die Kritik an der neuen Christlichen Patientenvorsorge unberechtigt ist

v. Hermann Barth

Quelle: Die Welt v. 01.02.11 >>> http://www.welt.de/politik/deutschland/ ... t-ist.html <<< (html)


Nun - ob der "Streit" weiter zu führen ist, wage ich doch eher zu bezweifeln; in den zentralen Fragen lässt sich kein Konsens vermitteln, sondern allenfalls ist an das Toleranzprinzip zu erinnern.

L. Barth
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DGHS - eine der ersten Adressen!

Beitrag von Lutz Barth » 07.09.2011, 08:41

Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben hält ebenso entsprechende Formulare als Basis-Patientenverfügung, Ergänzende Patientenverfügung und Demenz-Patientenverfügung bereit und bietet die Möglichkeit der Hinterlegung in der DGHS-Zentrale für Patientenschutz an.

Die DGHS zeichnet sich hierbei durch ein Bekenntnis zum Toleranzprinzip aus und von daher ist es begrüßenswert, dass die DGHS um einen zwingend gebotenen Dialog innerhalb unserer Gesellschaft für ein frei verantwortliches Sterben bemüht ist.

Mehr Informationen zur DGHS erfahren Sie unter >>> http://www.dghs.de/startseite.html <<< (html)

Auf den Seiten der DGHS finden sich vielfältige Informationen, insbesondere solche auch zu den Positionen der DGHS. Ein "Surfen" durch die Seiten könnte sich insofern als lohnenswert erweisen, als dass jedenfalls zum weiteren und intensiveren Nachdenken angeregt wird.
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