Injektion erfordert Einwilligung des Patienten

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

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WernerSchell
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Injektion erfordert Einwilligung des Patienten

Beitrag von WernerSchell » 02.09.2009, 12:12

Injektion erfordert Einwilligung des Patienten bzw. seines Vertreters

In einer Mailingliste wurde von einem rechtlichen Betreuer folgende Frage aufgeworfen:

Ich habe zum ersten Mal vom Heim eine Einverständniserklärung zur Verabreichung ärztlich verordneter Injektionen vorgelegt bekommen.
Wie sehen sie die Notwendigkeit? Das Heim argumentiert mit Körperverletzung. Ich argumentiere mit der ärztlichen Verordnung und dem qualifizierten Fachpersonal. Wie gehen Sie damit um?

Dazu wurde von mir folgende Antwort übermittelt:

Injektionen sind in der Tat tatbestandsmäßig Körperverletzungen und bedürfen daher der Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung erhalten Arzt oder legitimiert tätiges nichtärztliche Personal (von Notfallsituationen abgesehen) nur mit der Billigung durch den Patienten. Wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist und unter Betreuung steht (z.B. Gesundheitssorge), obliegt die Erteilung der Einwilligung oder ggf. die Ablehnung einer Maßnahme dem Betreuer. Die Schriftlichkeit solcher Erklärungen ist nicht zwingend vorgegeben, kann sich aber aus beweisrechtlichen Erwägungen als sinnvoll erweisen. Daher sehe ich eindeutig eine Notwendigkeit, den genannten Heimwünschen zu entsprechen.
Die ärztliche Verordnung ist, wenn Sie so wollen, nur ein Angebot an den Patienten. Dies gilt natürlich auch entsprechend für die Medikation, also jedwede ärztliche Verordnung. Betreuer (entsprechend Bevollmächtigte) sind umfassend gefordert. Ich halte sogar eine durchaus kritische Sichtweise gegenüber den vorgeschlagenen Maßnahmen für angebracht (siehe z.B. pflegeerleichternde Maßnahmen). Ältere Menschen bekommen laut vorliegender Studien nicht selten zuviele Medikamente (z.B. Psychopharmaka). Dem muss entgegen gewirkt werden. Insoweit sehe ich die rechtlichen Vertreter klar gefordert!

Siehe auch:
Die Mitwirkung des Pflegepersonals bei Maßnahmen der Diagnostik und Therapie
http://www.wernerschell.de/Rechtsalmana ... erapie.php

Werner Schell - http://www.wernerschell.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 03.09.2009, 12:19

Das ist wieder ein Beispiel, wie wir in der Pflege niemals aus der Bürokratie-Falle geraten können. Wir haben inzwischen 1 Millionen Demenzkranke, die zu einem erheblichen Teil nicht mehr Einwilligungsfähig sind. Rein rechtlich dürfte ihnen kein einziges Medikament mehr verabreicht werden, da keine Zustimmung vorliegt. Also brauchen alle diese Menschen einen gerichtlich bestellten Betreuer, der diese Zustimmung erteilt.
Selbstverständlich müssen diese Betreuer entsprechend geschult werden, damit sie überhaupt wissen, worüber sie da entscheiden...

Das Pflegebedürftige mit Psychopharmaka ruhiggestellt werden, kann doch kein Problem sein, dass durch Betreuer gelöst werden muss. Da ist die Ärzteschaft schon selbst gefordert, diese gängige Praxis zu hinterfragen und zu verbessern.

Herbert Kunst
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Der Wille des Patienten ist das höchste Gesetz

Beitrag von Herbert Kunst » 03.09.2009, 12:37

thorstein hat geschrieben: .... Das ist wieder ein Beispiel, wie wir in der Pflege niemals aus der Bürokratie-Falle geraten können. ....
Hallo Forum,

es geht hier nicht um Bürokratie, sondern um die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechtes, verfassungsrechtlich garantiert nach Art. 1 und 2 Grundgesetz.
"Der Wille des Patienten ist das höchste Gesetz", so hat es vor einiger Zeit der Bundesgerichtshof formuliert. Diesen Patientenwillen gilt es wahrzunehmen und zur Grundlage von Behandlung und Pflege zu machen.
Wie bereits beschrieben:
Der Patient hat in alle ihn betreffende ärztliche und pflegerische Maßnahmen einzuwilligen (das ist rechtsstaatliches Allgemeinwissen). Ist er, wie man das nennt, nicht (mehr) einwilligungsfähig, handelt für ihn ein Vertreter, rechtlicher Betreuer und Bevollmächtigter.
An diesen Rechtsgrundsätzen müssen sich alle Beteiligten orientieren. Wer dies nicht tut, handelt rechtswidrig!

Gruß
Herbert Kunst
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Beitrag von thorstein » 03.09.2009, 15:03

So kann man der Frage nach dem bürokratischen Aufwand auch ausweichen.
So funktioniert es eben. Man delegiert das Selbstbestimmungrecht an Betreuer. Tolle Sache, gut durchdacht. Die kümmern sich dann in aller Regel nicht um die medizinischen Fragen, weil sie davon keine Ahnung haben. Aber der Patient hatte ja wahrscheinlich auch keine Ahnung, und dann stimmt es ja wieder überein.
Merkwürdigerweise wird doch bei Betreuern nicht geprüft, ob sie sich auch tatsächlich mit den medizinischen Fragen bei ihren Betreuten erstens überhaupt befasst haben und zweitens wie sie bei Entscheidungen den mutmasslichen Willen berücksicht haben.
Das der Wille des Patienten das höchste Gesetz ist darf zwar als selbstverständlich gelten, dass dieser Wille auch delegierbar ist, scheint mir mehr als fragwürdig.
Der Betreuer hat zwar übrigens das Recht, über Medikamentenänderungen zu entscheiden, aber wohl nicht die Pflicht. Er muss also gerade nicht handeln. Wäre das tatsächlich rechtswidrig, müßte je bei allen Medikamentenänderungen eine Zustimmung des Betreuers vorliegen. Demnach würden wohl 99% aller Betreuer rechtswidrig handeln.

Herbert Kunst
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Betreuung - Rechtswahrnehmung

Beitrag von Herbert Kunst » 03.09.2009, 15:48

thorstein hat geschrieben: .... So kann man der Frage nach dem bürokratischen Aufwand auch ausweichen. So funktioniert es eben. Man delegiert das Selbstbestimmungrecht an Betreuer. .. .
Hallo Forum,

das Betreuungsrecht überträgt die Rechtswahrnehmung für den nicht einwilligungsfähigen Patienten / Heimbewohner auf den Betreuer (oder Bevollmächtigten). Damit ist der Vertreter für alle Entscheidungen zuständig, die zu seinen Aufgaben gehören (siehe richterlicher Beschluss bzw. Vollmacht). Es ist eine Vertretung ähnlich dem Verhältnis Kinder - Eltern.
Das ist grundsätzlich gut und richtig und kann nicht als "bürokratische Hürde" bezeichnet werden. Ob Rechtsvertreter immer ihre Aufgaben so wahrnehmen, wie es gedacht ist, kann dahinstehen. Genauso müsste man dann fragen, ob denn Ärzte, Heimverantwortliche, Pflegekräfte usw. ihre Aufgaben immer korrekt erledigen.
Man mag es drehen und wenden, wie man will: Zu den betreuungsrechtlichen Regelungen gibt es keine Alternativen.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Kunst
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Das Gespräch mit Patienten ist allerdings nicht entbehrlich

Beitrag von Lutz Barth » 03.09.2009, 18:03

Die Rechtslage ist hinreichend klar und bedarf keiner langatmigen Ausführungen. Gleichwohl soll darauf hingewiesen werden, dass entgegen weitläufiger Meinung der Arzt gut beraten ist, mit seinem "nicht einwilligungsfähigen Patienten" das Gespräch zu suchen; dies folgt allein aus dem Umstand, dass der Patient durchaus in der Lage sein kann, seine Einwilligung zu bestimmten Eingriffen zu erteilen und dies seinen Verständnishorizont nicht übersteigt (freilich ist hier der Grad der kognitiven Beeinträchtigung gesondert festzustellen).

Mit Blick auf die "pflegerische" Behandlung ist zu differenzieren, denn nicht jede Pflegehandlung setzt eine Einwilligung voraus.

Mfg.
L. Barth
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Re: Das Gespräch mit Patienten ist allerdings nicht entbehrl

Beitrag von Herbert Kunst » 04.09.2009, 07:23

Lutz Barth hat geschrieben:Die Rechtslage ist hinreichend klar und bedarf keiner langatmigen Ausführungen. Gleichwohl .... Mit Blick auf die "pflegerische" Behandlung ist zu differenzieren, denn nicht jede Pflegehandlung setzt eine Einwilligung voraus. ....
Hallo Herr Barth,

um Missverständnisse zu vermeiden: Alle Maßnahmen am Patienten / Bewohnenr bedürfen seiner Billigung! Dabei kann es aber durchaus so gesehen werden, dass einfache, routinemäßige Pflegehandlungen allgemein akzeptiert sind und daher nicht mehr in jedem Einzelheiten einer ausdrücklichen Erklärung (Einwilligung) bedürfen.
Dass sich Ärzte im Rahmen der "sprechenden" Medizin umfassend dem Patienten / Bewohner zuwenden sollten, kann ich nur unterstützen. Auch in den Fällen, wo es keine uneingeschränkte Einwilligungsfähigkeit mehr gibt, kann es Teilbereiche geben, wo der Patienten / Bewohner sich rechtlich relevant äußern kann. Vorhandene Rest-Einwilligungsfähigkeit drängt die Kompetenz eines rechtlichen Vertreters insoweit zurück.

Gruß
Herbert Kunst
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@Herr Kunst

Beitrag von Lutz Barth » 04.09.2009, 07:50

Guten Morgen, Herr Kunst.

Prinzipiell kann ich Ihnen zustimmen, wenngleich der diesseitige Hinweis eher im Zusammenhang mit "grundpflegerischen Leistungen" gedacht ist, die nach dem Heimvertrag geschuldet werden. Hier erbringt dann der Träger die geschuldeten Leistungen, die mit dem Bewohner vereinbart worden sind.

Im Übrigen ist Ihr Hinweis insofern sehr verdienstvoll, wenn Sie ausführen, dass einfache und routinemäßige Pflegehandlungen ganz allgemein akzeptiert werden. Problematisch dürfte hier allerdings die in manchen Lehrbüchern zum Recht der Pflege vertretenen Auffassung sein, dass das "Schweigen der Bewohner" wohl im Zweifel als "Einwilligung" resp. als ein "Verzicht auf Aufklärung" interpretiert werden kann. Hier ist insofern Skepsis angezeigt, zumal wenn es sich um Pflegehandlungen handelt, die zwingend einer Einwilligung bedürfen (denn ohne Frage handelt es sich bei den überwiegenden Fällen der sog. medizinischen Behandlungspflege zunächst tatbestandlich um "Körperverletzungstatbestände).

Interessant wird sein, wie sich künftig das Pflichtengerüst mit den entsprechenden rechtlichen Folgen vor dem Hintergrund der geplanten Übertragung ärztlicher Aufgaben entwickeln wird, auch im Rahmen des hierarchisch organisierten Pflegedienstes.

Derzeit spricht einiges dafür, analog der Ärzteschaft pflegerische Primärpflichten anzunehmen, die weitreichende Folgen haben werden, so u.a. Aufklärungspflichten vor (!) einer entsprechenden Therapie.

Eine weitere Diskussion wird sicherlich dann erfolgen, wenn und soweit der G-BA bezüglich der zu übertragenen ärztlichen Tätigkeiten seine Richtlinien hierzu verabschiedet hat.

Mit freundlichen Grüßen
L. Barth
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Beitrag von thorstein » 04.09.2009, 10:55

Sehr geehrter Herr Kunst und Herr Barth,

das Schweigen oder die Duldung des Patienten ist ja nur eine mögliche Reaktion.
Sehr häufig ist von einer explizite Ablehnung auszugehen.

Aber konkret:

Ein an Demenz und insulinpflichtiger Diabetes leidender Patient liegt in seinem eigenen Stuhlgang. Die pflegerische Versorgung lehnt er eindeutig ab, indem er um sich schlägt, sobald man sich ihm nähert. Juristisch betrachtet sind hier eine ganze Menge Straftatbestände zu erwarten, wenn der Patient jetzt versorgt wird.: Sein Selbstbestimmungsrecht wird eindeutig verletzt. Wenn ihn eine Pflegekraft festhalten muß, ist das Körperverletzung und eine freiheitsentziehende Maßnahme. Möglicherweise kommen noch andere Straftatbestände dazu.

Was ist jetzt von den Pflegekräften zu erwarten? Welche Maßnahmen sind jetzt zu ergreifen? Welche Dokumente müssen vorliegen, damit die pflegerische Intervention doch erfolgen kann? Oder muß sie unterlassen werden?

Gegen die Blutzuckermessung und die Insulinspritze wehrt sich der Patient auch regelmäßig?
Genügt da eine einmalige Genehmigung durch den Betreuer, oder müsste dass nicht täglich dokumentiert werden, wenn gegen den klaren Willen des Patienten eine Körperverletzung begangen wird?

Herbert Kunst
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Patientenautonomie - Entscheidungskompetenz beim Vertreter

Beitrag von Herbert Kunst » 04.09.2009, 12:36

thorstein hat geschrieben: ....Ein an Demenz und insulinpflichtiger Diabetes leidender Patient liegt in seinem eigenen Stuhlgang. Die pflegerische Versorgung lehnt er eindeutig ab, indem er um sich schlägt, sobald man sich ihm nähert. Juristisch betrachtet sind hier eine ganze Menge Straftatbestände zu erwarten, wenn der Patient jetzt versorgt wird.: .... Genügt da eine einmalige Genehmigung durch den Betreuer, oder müsste dass nicht täglich dokumentiert werden, wenn gegen den klaren Willen des Patienten eine Körperverletzung begangen wird? ...
Hallo Herr Thorstein,

die Schwierigkeiten liegen natürlich immer im Detail:

Wenn ich einmal unterstelle, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist, muss die Behandlungs- und Pflegesituation umfassend mit dem Betreuer bzw. Bevollmächtigten erörtert werden. Dann wird am Ende eine Entscheidung des Betreuers zu stehen haben, welche die angebotenen Maßnahmen akzeptiert oder ggf. ablehnt. Im Allgemeinen wird man aber annehmen dürfen, dass der Betreuer den üblichen den Standards entsprechenden Maßnahmen zustimmen wird.

Für Maßnahmen, die sich ständig wiederholen, wird eine einmalige Abstimmung ausreichen, für Abweichungen und Sondermaßnahmen sind neue Kontakte geboten. Überhaupt sind Abstimmungsgespräche immer von Nutzen, für beide Seiten. Möglicherweise sind auch Erörterungen im Team über die verschiedenen Pflegesituationen geboten. ....

Wenn der Vertreter unter diesen Umständen seine Einwilligung erteilt hat, ist das Handeln des Fachpersonals, von der Legitimation her betrachtet, rechtlich kein Problem, und zwar so lange, wie sich die gesprochene Situation nicht ändert.

Was die Dokumentation angeht: Natürlich sind die grundsätzlichen Abstimmungsvorgänge zu dokumentieren. Im Übrigen ist immer das zu dokumentieren, was wichtig ist. Insoweit gab es hier schon vielfach Informationen.

Gruß
Herbert Kunst
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