Ehrenämter bei Caritas & Co: Tarnung von Billigjobs

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

Moderator: WernerSchell

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thorstein
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Ehrenämter bei Caritas & Co: Tarnung von Billigjobs

Beitrag von thorstein » 05.07.2010, 16:01

Ehrenämter bei Caritas & Co: Tarnung von Billigjobs

Bei Panorama wurde unter:
http://daserste.ndr.de/panorama/media/panorama494.html
die Frage nach der sogenannten Übungsleiterpauschale diskutiert.

Für mich war bisher klar, das ensprechend § 3 Nr. 26 EStG der Einsatz in der Pflege genau die Absicht des Gestzgebers war. Hier wird von Dauerpflege gesprochen und nicht von Vorlesen und Spazierengehen.

Gibt es zum Einsatz in der Pflege noch nähere Erläuterungen bzw. wird hier ein Skandal konstruiert?

Cicero
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Missbrauch des Ehrenamtes in der Pflege

Beitrag von Cicero » 05.07.2010, 17:49

Der Panoromabericht macht eine Missbrauchssituation deutlich, die dringend abgestellt gehört. Einmal kann es nicht angehen, dass pflegerische Arbeiten von Personen erledigt werden, die wahrscheinlich insoweit nicht ausreichend qualifiziert sind. Zum anderen ist die Splittung in Entgelt und Aufwandsentschädigung zur Vermeidung von Steuer- und Sozialversicherungsabgaben m.E. ein klarer Missbrauch, ein Gesetzesverstoß. Vielleicht ist das sogar strafrechtlich relevant!
Die Vorschriften waren eigentlich für andere Zwecke gedacht. Da erbringt jemand in seiner Freizeit Dienstleistungen für andere, opfert seine Zeit, und investiert noch für Telefon, Fahrtkosten usw. Dass man dafür eine Aufwandspauschale zahlen darf, die dann steuerfrei bleibt, ist nachvollziehbar und animiert die BürgerInnen, solche Arbeiten für andere zu übernehmen. Reguläre Arbeit aufzuteilen nach entgeltpflichtiger Dienstleistung und Ehrenamt ist nicht hinnehmbar. Soweit die Pflege angesprochen ist, passt ja auch die Bezeichnung "Übungsleiterpauschale" überhaupt nicht.
Wer greift jetzt das Thema auf und schreibt an die Bundesregierung? Es kann wohl nicht angehen, dass seitens des Finanzministeriums lapidar erklärt wird, das Thema sei nicht bekannt. Wenn das so ist, muss es eben bekannt gemacht werden.

Cicero
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Sabrina Merck
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Missbrauch des Ehrenamtes in der Pflege

Beitrag von Sabrina Merck » 06.07.2010, 06:58

Cicero hat geschrieben:Der Panoromabericht macht eine Missbrauchssituation deutlich, die dringend abgestellt gehört. Einmal kann es nicht angehen, dass pflegerische Arbeiten von Personen erledigt werden, die wahrscheinlich insoweit nicht ausreichend qualifiziert sind. Zum anderen ist die Splittung in Entgelt und Aufwandsentschädigung zur Vermeidung von Steuer- und Sozialversicherungsabgaben m.E. ein klarer Missbrauch, ein Gesetzesverstoß. Vielleicht ist das sogar strafrechtlich relevant! ....
Hallo,
ich bin doch sehr erstaunt, mit welchen Methoden versucht wird, Billigpflege zu ermöglichen und dabei noch dem Staat bzw. Sozialsystem Steuern und Beiträge vorenthalten werden. Ich bin auch der Meinung, dass dies Missbrauch darstellt, der sofort abgestellt gehört, ggf. durch eine Gesetzeskorrektur.
Mfg Sabrina
Dem Pflegesystem und den pflegebedürftigen Menschen muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden! Daher:
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk!
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Care Manager
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Beitrag von Care Manager » 06.07.2010, 17:43

Solche Stellen wurden in meine alte Stelle genutzt um ehemalige Praktikanten, die Interesse an die Altenpflege zeigen, und die ein paar Euro verdienen wollen, als Aushilfe bei Engpässe in der Wohnbereichsküche zu beschäftigen. Die Stunden sind von vornherein begrenzt, und sie haben Kontakt zu den alten Menschen.

Eine andere Variante war als eine Aufwandsentschädigung für Begleiter bei Ausflüge, die ein bisschen mehr auf sich genommen, als nur dabei zu sein.

Kann es sein, dass man diese Möglichkeiten auch kaputtmachen wird, wenn man so militant vorgeht? Meines Wissens darf die Summe der Aufwandsbeschädigungen nicht über 2000 € im Jahr betragen. Wie viele Arbeitsstunden sind das? 200?
Eine Theorie ist eine Vermutung mit Hochschulbildung
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thorstein
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Beitrag von thorstein » 06.07.2010, 23:11

Ich warne davor, berichte des sogenannten investigativen Journalismus unkritisch 1zu1 zu übernehmen. Geht es nur mir so, dass bei solchen Berichten mehr Fragen enstehen als beantwortet werden? Gezielt wird immer auf das Empörzentrum und mir kann niemand erzählen, dass dabei so manche störende Information unter den Tisch fällt.

Aber konkret: Wofür war diese Überleiterpauschale für geleistete Pflege gedacht? Wer sollte hier wen als Übungsleiter in der Pflege einstellen? Kann ich als Privatmann den Nachbarn für die Pflege meiner Mutter als Übungsleiter beschäftigen?

WernerSchell
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Ehrenämter bei Caritas & Co: Tarnung von Billigjobs

Beitrag von WernerSchell » 08.07.2010, 10:52

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Initiative - Harffer Straße 59 - 41469 Neuss

Neuss, den 06.07.2010

Eilt sehr!

An die
Bundesregierung - Bundesgesundheitsministerium / Bundesfinanzministerium / Bundesseniorenministerium
Fraktionen im Deutschen Bundestag

...
>>> Aus Gründen der Vereinfachung und Kostenersparnis führen wir Schriftwechsel vornehmlich per E-Mail. Wir bitten um Verständnis! <<<

Betr.: >> Ehrenämter bei Caritas & Co: Tarnung von Billigjobs <<

PANORAMA, NDR, berichtete am 01.07.2010 zum o.a. Thema und informierte eindrucksvoll über klare Missbräuche, die die Pflege erneut in Verruf bringen (können):
Viele Wohlfahrtsverbände nutzen eine steuer- und abgabenfreie Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten offenbar dazu, reguläre Mitarbeiter teilweise abgabenfrei zu bezahlen. Schon drei solche Arbeitsverhältnisse reichen aus, um eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle zu ersetzen.
[mehr] http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/ ... as100.html

Nach den im o.a. Bericht vorgestellten Informationen, die durch einen Trägerverantwortlichen Bestätigung fanden, werden u.a. in den stationären Pflegeeinrichtungen (offensichtlich zunehmend) MitarbeiterInnen (wohl eher unqualifiziert) mit geringstem Entgelt (400-Euro-Job) beschäftigt, denen zusätzlich eine geringe Zusatzvergütung angeboten wird, die dann rechtlich als Aufwandsentschädigung verkauft wird, mit dem Ergebnis, dass nur in geringstem Umfang Steuern und Sozialbeiträge abgeführt werden. Dienstleistungen werden aber wie bei regulärer Anstellung abverlangt.

Was ist zu tun?

Wenn es zutreffen sollte, dass diese Praktiken, die offensichtlich weit verbreitet sind, rechtlich zulässig sind, muss umgehend eine Gesetzeskorrektur her. Insoweit sollten dann schnellstmöglich alle gesetzgeberischen Initiativen ergriffen werden. Der Bund ist gefordert!
Wenn aber das geschilderte Verfahren - Geringentlohnung plus steuerfreie Aufwandsentschädigung(en) - tatsächlich, wie hier angenommen wird, rechtswidrig und damit missbräuchlich ist, muss ebenfalls schnell auf Abhilfe gedrungen werden. In diesem Falle sollten m.E. vom Bund aus umgehend die zuständigen Landesministerien (für Finanzen und Soziales) informiert werden, damit die zuständigen Behörden (Finanzämter und Heimaufsichten) eingreifen können. Zumindest wären Runderlasse / Rundverfügungen fällig, die auf die Unzulässigkeit des Verfahrens hinweisen. Das alles kann m.E. ganz schnell geschehen.
Wenn Ihnen die Vergütungstricks weiter verdeutlicht werden sollen, können Sie sich einmal anhand des PANORAMA-Berichtes im Netz informieren:
http://daserste.ndr.de/panorama/media/panorama494.html Ich denke aber, dass Ihnen die Redaktion von PANORAMA auf Anfrage auch gerne weitere Informationen zur Verfügung stellen wird.

Bitte teilen Sie mir doch mit, wie Sie weiter verfahren wollen. Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk sieht in der Art und Weise, wie hier Billigpflege angeboten wird, eine den Sorgfaltsgeboten zuwider laufende Pflege der betroffenen pflegebedürftigen Menschen und zudem eine Gefährdung regulärer Arbeitsplätze der Fachpflegekräfte. Das alles hat dann mit Wertschätzung und Anerkennung nichts mehr zu tun. Dies werden wir so nicht durchgehen lassen.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Schell - Dozent für Pflegerecht
http://www.wernerschell.de
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
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